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Kinderheim Zens Praktikum als „Vater auf Zeit“

Von Berlin nach Zens: Ein Praktikum absolvierte der Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka im Kinderheim Zens.

Von Olaf Koch 28.03.2018, 01:01

Zens l Da blitzen zwei Erfahrungen gleichzeitig hervor: die des Familienvaters und jene des Landesvorsitzenden der SPD. Der Unterschied mag in den Augen vieler Menschen ziemlich groß sein, ist er aber bei Licht betrachtet nicht unbedingt. Denn beide Problemfelder können mit einem Satz auf den Nenner gebracht werden: Die Familie muss zusammengehalten werden. So gesehen ist das Praktikum im Kinderheim und Familieninternat des Vereines „Nestwärme“ wie ein Heimspiel.

Der Bundestagsabgeordnete tauscht regelmäßig seinen Schreibtisch in Berlin gegen den kommunalen Wind in der Provinz. „Ich möchte wissen, wie bestimmte Sachen an der Basis laufen, über die wir im Bundestag sprechen“, berichtet Burkhard Lischka der Volksstimme. Klar kann er sich das auch während eines Termines alles erzählen lassen. Aber bei einem fünfstündigen Praktikum bleibt nichts geschönt, irgendwann fällt der Vorhang und die Realität des täglichen Lebens zeigt sich – positiv wie negativ.

Nichts Geringeres als ein Zuhause mit einer intakten Familie wollen die pädagogischen Mitarbeiter im Kinderheim Zens den Kindern und Jugendlichen geben. Derzeit werden 14 von ihnen im Alter zwischen sieben Monaten und 18 Jahren, darunter auch zwei unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, betreut. Ein Großfamilie mit 14 unterschiedlichen Charakteren und ebenso unterschiedlich geprägten Lebensumständen. Hier anzusetzen, ist eine täglich neue Gratwanderung.

Doch die Mitarbeiter schaffen das. Sie geben Liebe und bekommen das Vertrauen der Kinder zurück. Das erfährt auch Burkhard Lischka während seines Praktikums. Er selbst ist Vater von zwei Kindern und hat während seines Studiums in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet. Als sich die kleine Jasmin am Nachmittag langweilt, kann sie Lischka zum Fußballspielen begeistern. Zunächst muss Heimleiter Marcus Bergmann noch die Ballpumpe organisieren und das runde Leder in Form bringen.

Immer mehr Mädchen und Jungen stoßen hinzu. „So, wie wollen wir spielen: Jeder gegen jeden oder als Mannschaft?“ Was so banal klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Die Kinder selbst sollen sich ihre Regeln aufstellen und sich dann daran halten – und das nicht nur im Spiel, sondern auch im richtigen Leben.

So ist der Bundestagsabgeordnete mittags dabei, als die Kinder in den Gruppen ihren Putzplan besprechen. Wie in einer Familie üblich löst das nicht nur Freudensprünge aus. „Na ich helfe euch heute doch“, beruhigt Lischka. Wahnsinn, wenn die Kleinsten wüssten, dass Lischka mit der Großen Koalition im Bundestag politisch auch der Bundeskanzlerin unter die Arme greift ...

So ist sich der Politiker um nichts zu schade. Er färbt mit drei Mädchen Eier für das bevorstehende Osterfest. Die Eier-Reserven scheinen gefühlt bis Weihnachten eingefärbt zu sein. Er wäscht mit ihnen das Geschirr ab und räumt es in die Schränke. Alle backen gemeinsam Muffins, die mit bunten Streuseln dekoriert werden. Lischka ist in diesem Moment ein „Vater auf Zeit“, nimmt sich Zeit und erzählt mit den Kindern.

Die 15-jährige Marie ist eine tolle Zeichnerin und will dies dem Besuch auch zeigen. Das Mädchen aus Calbe muss ihr Talent wirklich nicht verstecken. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Skizzen vor allem mit Hunden. Als sie auf den Stuhl steigt, zeigt sie weitere farbige Bilder, die absolut sehenswert sind.

Burkhard Lischka ist überrascht. Die Begeisterungsfähigkeit der Mädchen und Jungen ist ungebrochen, wenngleich sie aus ihrem ersten familiären Umfeld herausgerissen sind. Doch die Heimmitarbeiter und die anderen Kinder sind die neue Familie. „Das rechne ich den pädagogischen Kräften sehr hoch an. Sie versuchen, den Kindern ein Zuhause zu geben“, sagt Lischka. Und das nicht nur sieben Tage in der Woche, sondern 365 Tage im Jahr.

Er weiß, dass das ein langer und schwieriger Weg ist, der täglich neu bewältigt werden muss. „Ein Zuhause der eigenen Familie ist nur schwer zu ersetzen“, betont er und zollt den Mitarbeitern Respekt. Die Gruppen, die es im Zenser Kinderheim gibt, schaffen ein sicheres Umfeld.

Nach dem Tag sollte für Burkhard Lischka ein Ergebnis stehen: Was nimmt er aus dem Praktikum in Zens mit in den Bundestag nach Berlin? „Die Wertschätzung für Familien und vor allem für Alleinerziehende“, so sein Resümee gestern gegenüber der Volksstimme. Es klingt wie eine Floskel, doch hat der Satz hier eine Bedeutung: „Die Kinder sind das schwächste Glied in der Kette“, meint Lischka. Sie leiden am meisten, wenn es im Elternhaus nicht so funktioniert, wie es funktionieren soll. „Sie könne nicht einfach so entscheiden, ob sie sich trennen oder woanders hingehen.“

Lischka findet es gut, dass das oberste Ziel die Wiedereingliederung der Kinder ist. Dafür leistet das Heim in Zens – aber auch andere Einrichtungen in der Region – einen wichtigen Beitrag. „Es war ein cooler Tag für mich“, meint Lischka.

Für die Mädchen und Jungen ist es mit „Burkhard“ auch cool gewesen. Sie werden im Nachgang sicherlich noch zu einem kleinen Geschenk kommen. Als Lischka mit der Heim-Elf auf dem Bolzplatz hinter dem Haus zum Spiel aufläuft, stellt der Bundestagsabgeordnete fest, dass der Ball kein Fußball, sondern lediglich ein rundes Etwas ist. „Habt ihr keinen Fußball?“, will er wissen. „Neeee, kaputt“, dröhnt es unisono von den Sportlern. Lischka sagte zu, dass er diesen Umstand ändern werde. Das freut vor allem den einen der beiden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge – Rashid. Er geht in Förderstedt zur Schule und spielt in der A-Jugend von Kleinmühlingen-Zens. Er scheint ein wahres Talent zu sein.

So wie Burkhard Lischka bei seiner allerletzten Tätigkeit seines Heimpraktikums. Eine Gardinenstange ist locker und droht aus der Halterung zu rutschen. Der Politiker kann sie wieder befestigen. Jetzt muss sie nur noch mit einem Inbusschlüssel festgedreht werden. Das ist wie in der großen Politik: An den Stellschrauben drehen, um für das Volk etwas Gutes zu bewirken.