Kirche Magisches Lichtspiel

Nur einmal im Jahr, am Abend des 14. September, fällt das Sonnenlicht durch den Raum der Pretziener Kirche genau auf das Altarkreuz.

Von Ulrich Meinhard 16.09.2015, 14:49

Pretzien l Der Montag begann grau und trüb. Wolken. Regen. Die Sonne verdeckt. Schade. Nicht nur für das allgemeine Lebensgefühl. Denn der Montag, der 14. September, ist der Tag Christi Kreuzerhöhung. Ein Fest, das in früherer Zeit elementarer Bestandteil im Jahreslauf der Menschen war. Die Geschichte, die dahinter steckt, dürfte, zumindest für Nicht-Christen etwas verworren klingen. Auf jeden Fall ist sie vielschichtig. Und um sie abzukürzen, sei sie hier so dargestellt:

Kaiserin findet das Christus-Kreuz wieder

Die Kaiserin Helena aus Constantinopel, also aus dem oströmischen Reich, soll um das Jahr 350 das Kreuz aufgespürt haben, an dem Jesus von Nazareth zu Tode gefoltert worden ist. Wie es damals üblich war - und auch heute noch in einigen Gemeinden üblich ist - wurden kleine, aus dem Kreuz herausgenommene Teile, sogenannte Reliquien, den Gemeinden gezeigt. Das Kreuz wurde also hochgehalten, sprich: erhöht. So entstand die Kreuzverehrung. Zum Andenken an das Wiederauffinden des Kreuzes ging der Tag der Kreuzerhöhung als ganz besonderes Fest in den Kirchenkalender ein und ist heute noch verankert vor allem im katholischen und orthodoxen liturgischen Kalender.

Der evangelische Pfarrer Rüdiger Meussling entdeckte diesen Tag quasi wie durch Zufall - ohne von ihm zu wissen. Als Meussling in den 1970er Jahren seine Pfarrstelle in Plötzky antrat, begannen er, seine bessere Hälfte Anna-Maria Meussling sowie viele freiwillige Helfer die marode und im Inneren völlig verbaute St. Thomaskirche in Pretzien zu sanieren und zu entrümpeln. Ein riesiger Aufwand. Begleitet von erstaunlichen Entdeckungen. Zum Beispiel der Feststellung, dass das Sonnenlicht abends von Westen her durch zwei kleine Fenster in die Kirche fiel, so wie Scheinwerfer. Diese beiden Lichter wanderten aufgrund der Drehung der Erde langsam durch den Raum. Zu den Stundengebeten der einstigen Mönche fiel das Sonnenlicht in den Altarraum. Aber nur am 14. September fällt ein Lichtstrahl genau um 7 Uhr abends für etwa drei Minuten auf das Kreuz, das auf dem Altar steht. Dazu muss gesagt werden, dass die Höhe des Altares und die Positionierung des Kreuzes darauf nach alten Angaben erfolgten. Zudem konnte festgestellt werden, dass das Kirchenschiff um 16,3 Grad in seiner Ost-West-Ausrichtung verschoben ist, also minimal. Nur so gelingt es, das Bündel aus Sonnenlicht genau zu diesem Zeitpunkt auf das Kreuz zu lenken. Es entsteht ein deutlicher Schatten, es sieht so aus, als wäre das Kreuz verdoppelt, und aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen: als wäre es erhöht.

Genau auf dieses Ereignis wird in der Pretziener Kirche nun seit Jahren Jahr für Jahr gewartet. Fast immer aber ist der Himmel bedeckt und der Effekt bleibt aus oder ist nur zu erahnen.

Das war nun auch am Montag zu vermuten. Doch am Nachmittag riss der Himmel auf. Um 18 Uhr lag das langsam wandernde Sonnenlicht auf den Stuhlreihen und allmählich bekamen die anwesenden Gäste nach und nach einen Heiligenschein, wie Rüdiger Meussling, inzwischen Pfarrer im Ruhestand, fröhlich feststellte. Wie er, hofften auch alle anderen, dass sich im letzten Moment nicht doch noch eine Wolke vor die Sonne schieben möge. Der Organist der Neuapostolischen Gemeinde in Schönebeck, Burghard Manzke, intonierte Kirchenlieder. Rüdiger Meussling sprach eine kleine Andacht. „Ich stelle mir vor, wie die Menschen in früherer Zeit diesen Tag, diesen Augenblick erlebt haben mögen“, sagte er und zeigte sich überzeugt: Sicherlich mit großer Frömmigkeit im Herzen.

Der Moment verfehlte seine Magie nicht

Und dann war die nur kleine Schar der Kirchenbesucher tatsächlich Zeuge eines außergewöhnlichen Lichtspiels: der Erhöhung des Kreuzes. Es war so still im kleinen romanischen Gotteshaus, dass sogar das leise Klicken der Fotoapparate als viel zu laut klang. Der Moment verfehlte seine Magie nicht. Niemand, der nicht ergriffen war. Einige hatten Tränen in den Augen. Wie passend der Text des Kirchenliedes zum „Tag der Erhöhung“, den Burghard Manzke spielte: „Strahlen brechen viele aus einem Licht. Unser Licht heißt Christus. Strahlen brechen viele aus einem Licht und wir sind eins durch ihn.“

So deutlich und schön, meinte Anna-Maria Meussling im Nachhinein, habe sie das Licht-Ereignis noch nie vorher erlebt.