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Kulturgut Auch alte Obstsorten sind ein Kulturerbe

Beim 250-jährigen Ortsjubiläum von Gnadau trafen Idealismus und Naturfreunden zusammen. Letztere pflanzten sieben Obstbäume.

Von Thomas Linßner 02.08.2017, 15:57

Gnadau l Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Zu Jubiläen ist der Mensch besonders geneigt, einen Baum zu pflanzen. Spaten in die Hand und los geht’s: Das Loch ist schnell ausgehoben, und der neue Baum wurzelt am Straßenrand. Eigentlich nichts Besonderes? Doch ist es. Dieses alte Ritual hat tiefe Wirkung. Denn Bäume haben eine große Symbolik. Nicht erst in heutigen esoterischen Kreisen gilt der Baum als Gleichnis für menschliches Wachsen und Werden, er war es schon immer.

Vielleicht ist es eben diese Verbindung, die Bäume zu etwas so Besonderem für uns Menschen macht. Möglicherweise fällt einem interessierten Zeitgenossen in 50 Jahren die Volksstimme vom 3. August 2017 in die Hand. Dann wird er wissen, wer die Bäume am Ortsrand von Gnadau im Frühjahr Anno Domini 2017 pflanzte.

Es waren Idealisten des Naturschutzbundes und Obstbaumfreunde. Darunter die Obstbau-Experten Walter Nauendorf (Barby), Sigurd Schossig (Biederitz) und Alwin Neum. Letzterer hatte die Apfel- und Birnenbäumchen - allesamt Hochstämme - in seiner Baumschule in Langenweddingen gezogen.

Ein Motor der Gnadauer Pflanzaktion war Heiko Rasch aus Felgeleben. Er hatte von alten Gnadauer Bäumen Edelreiser geschnitten und Alwin Neum zur Veredelung gegeben. Damit wurden sortengleiche Hochstämme gezogen, wie sie schon vor hundert Jahren in Gnadau in den Boden kamen. „Es ärgert mich, dass die vielen alten Obstsorten immer weniger und kaum welche nachgepflanzt werden“, sagt Heiko Rasch. Seit Jahren beschäftigt sich der junge Felgeleber mit diesem Thema, für das er sich ein beachtliches Fachwissen angeeignet hat.

Die Faust in der Hosentasche ballen ist das eine, aktiv zu werden das bessere. Heiko Rasch nahm Kontakt zum Naturschutzbund (Nabu) Schönebeck auf. „Heiko hat bei uns offene Türen eingerannt“, erinnert sich Nabu-Mitglied Gudrun Edner. Sie organisierte schließlich zusammen mit ihren Vereinsfreunden die Pflanzung. Man habe den Standort Gnadau gewählt, weil in diesem Jahr das 250-jährige Ortsjubiläum gefeiert wird und weil eine Bewässerung der Bäume durch die Nähe des Friedhofes machbar ist. In der Feldflur sei dies natürlich ungleich schwieriger. Finanziert wurde die Aktion durch Spenden und Beiträgen der Nabu-Mitglieder.

Wobei Heiko Rasch viel Wert auf eine qualitative Pflanzung legte. „Man muss sich bei Hochstämmen schon die Mühe machen, ein 60 Zentimeter tiefes Loch auszuheben“, erklärt er. Nur die Ballentiefe auszuschachten reiche nicht aus. „Wenn der Boden hart ist, stoßen die jungen Wurzeln wie auf Beton“, mahnt Rasch. Die ausgehobene Erde müsse dann eins zu eins mit Kompost vermischt werden. Schließlich sei auch das regelmäßige Wässern in den ersten drei Jahren lebenswichtig. „Es ist besser, alle zehn Tage hundert Liter zu geben, als jeden Tag zehn“, weiß Heiko Rasch. Der Baum werde durch ausgiebiges Wässern eher dazu angeregt, in die Tiefe und nicht nur oberflächennahe Wurzeln zu bilden.

„Nicht nur alte Kirchen und Barockschlösser, auch alte Obstsorten gehören zum Kulturerbe der Menschheit“, zitiert Heiko Rasch aus einem Text, den er in einem Buch fand. Dieses Thema habe jahrzehntelang kaum jemanden interessiert. Heute finden sich immer die gleichen Apfelsorten wie Delicious, Braeburn oder Jonagold in den Regalen der Supermärkte. Fast unmerklich verschwunden seien die alten Sorten wie Goldparmäne, Jonathan oder Freiherr von Berlepsch. Letzterer gehört mit seinem hohen Vitamin-C-Gehalt von 23,5 mg je 100 Gramm zu den zehn Apfelsorten mit den höchsten Vitamin-C-Anteilen.

Richtig gut zu Gnadau würde der „Schöne von Herrnhut“ passen. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt dieses Beitrags wären: Die Herrnhuter Brüdergemeine wurde vor 250 Jahren gegründet. Vielleicht kommt mal jemand im nächsten Frühjahr auf die Idee, ein, zwei dieser Kulturäpfel an exponierter Stelle in den Boden zu setzen. Und mit einem Erklär-Schild zu versehen.

Es müssen ja nicht immer Eichen und Linden sein, die an große Dinge erinnern. Ein Hochstamm tut es auch.