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Herbstturnier in Schönebeck: Skat ist mehr als nur ein Spiel Menschenkenntnis ist Trumpf

Von Isabell Bittner 04.12.2012, 01:17

Seit vielen Jahren treffen sich Skat-Freunde zum Herbstturnier in Schönebecks Bürgerzentrum. Ihre lang gereifte Erkenntnis: Der Spieler mit dem meisten Glück wird nicht unbedingt der Gewinner.

Schönebeck l "20", "21", "22". "Ich passe." "Du hast die Hand ausgereizt." "Herz ist Trumpf." Fachbegriffe hallen durch den Raum. Konzentrierte Schwere liegt in der Luft. Man kann die rauchenden Köpfe geradezu riechen. Der Grund: Im Bürgerzentrum Schönebeck kämpfen Spieler um den Sieg beim Skat. Das Kartenspiel veranstaltet Rudi Woitzel dort mehrmals pro Jahr, in drei Etappen findet gerade das Herbstturnier statt. Der 78-Jährige hat bereits kurz nach der Wende angefangen, die Runden zu organisieren, weil er die Gesellschaft schätze, sagt er selbst.

"Ich will haushoch gewinnen."

31 Teilnehmer - davon 29 Männer und 2 Frauen - jonglieren mit ihrem Kartenblatt an acht Tischen. Beim Herbstturnier im vergangenen Jahr hat eine der beiden Frauen gewonnen. Sie heißt Lilija Matthees, ist 73 und gibt sich auch diesmal wieder siegessicher. "Ich will haushoch gewinnen. Wir Frauen sind nicht so dumm, wie die Männer manchmal denken", sagt sie mit spitzer Zunge. "Leider", tönt es frech vom Konkurrenten gegenüber. Lilija Matthees lässt sich von Macho-Kommentaren nicht beeindrucken, sie wirkt trotzdem wie die Chefin am Tisch. Immer wenn sie ein gutes Blatt hat, schwingt ihre rechte Hand sanft im Takt der Karten, die gerade auf den Tisch geschmissen werden. Und sobald ihre Mitspieler einen unklugen Zug vornehmen, macht sie einen Zisch-Laut und sagt: "Eieieieiei, das hältst du im Kopf nicht aus. Die denken nicht nach. Da kriege ich Bauchschmerzen."

Lilija Matthees behauptet sich selbstbewusst in der Männerrunde und bleibt dabei durch und durch Frau: Sie hat blondes Haar und rote Nägel, trägt breite goldene Ringe und einen glitzernden Pullover. Skat hat sie in einem Betrieb gelernt, der auf den ersten Blick gar nicht zu ihrem Äußeren passt: im Traktorenwerk. "Dort habe ich in den 70er Jahren immer bei den Männern zugeguckt", sagt sie.

Auch ihr eigener Mann, Hans Matthees, ist beim Herbstturnier dabei. "Aber wir spielen nicht gegeneinander", sagt sie. Warum? "Mein Mann versucht, zu meinen Gunsten zu taktieren. Das wollen wir nicht. Spiel und Familie gehören nicht zusammen. Ich sage immer zu ihm: Du hast mit mir Glück in der Liebe, und ich habe ein besseres Blatt", erklärt sie und lacht dabei laut. Hans Matthees wiederum scheint stolz auf seine quirlige Ehefrau zu sein. Er wirkt am Skat-Tisch nebenan wie das komplette Gegenteil: ruhig, geduldig, zurückhaltend. Wenn seine Frau schrill quiekt, lächelt er bedächtig. Nur im Urlaub gehen die beiden zusammen ins Kasino. Lilija Matthees erzählt: "Bei einer Kreuzfahrt kam jeden Abend um fünf vor zwölf ein Franzose an den Roulette-Tisch. Er sah sehr schick aus, ganz leger mit einer Ausstrahlung à la ¿Was kostet die Welt.\' Er hat 10 000 Euro gewonnen. Sowas fasziniert mich."

So viel Leidenschaft wie ihre eloquente Mitstreiterin können die anderen Skat-Freunde beim Turnier nicht aufbringen. Für die meisten, wie für den Wirt Uwe Stumpf, ist es vor allem eine "willkommene Abwechslung". Es sei schön, Leute zu treffen und gemeinsam eine Partie zu zocken. Mitspieler Dieter Haeymann schätzt an Skat, dass zum Gewinnen eine Mischung aus Glück und Strategie gehöre. "Beim Schach treten nur zwei Personen gegeneinander an, beim Rommé hat man meistens noch einen Joker im Ärmel. Beim Skat aber, das zu dritt gespielt wird, hat man sein Schicksal selbst in der Hand." Mitrechnen sei gefragt, passionierte Spieler behalten die bereits gespielten Karten im Kopf und kalkulieren, wer welches Blatt vor sich hat. "Skat ist immer anders. Es gibt tausend Variationen. Deshalb trainiert es das Gedächtnis", sagt Dieter Haeymann. Für über 70-Jährige, wie die meisten beim Herbstturnier, sei dieses Training für den Kopf sehr gut, sind sich viele einig. Fast alle von ihnen spielen schon sehr lange Skat, haben es in der Kindheit von ihrem Vater, Opa oder einem anderen älteren Familienmitglied gelernt.

"Man muss wissen, mit wem man spielt."

Genauso wie Franz Wurm, der das Turnier diesmal gewinnt. Vor 50 Jahren brachte ihm sein Onkel Skat bei. Heute gehört er zu den Besten bei den Turnieren in Schönebeck. "Er beherrscht das Kombinieren im Kopf sehr gut", sagt Dieter Haeymann. Franz Wurm bekommt als Sieger 15 Euro und eine Schachtel Pralinen. Auf die Frage, was seine Taktik sei, antwortet er bescheiden: "Man muss wissen, mit wem man spielt." Menschenkenntnis ist also Trumpf.

Auch Lilija Matthees geht wieder glücklich aus der Runde: Als Siebte gewinnt sie eine Flasche Sekt. Sie spiele am liebsten die anspruchsvolle Variante "Grand" beim Skat. "Nur wer wagt, gewinnt", sagt sie gewohnt keck. Ob der Erfolg ihr letztlich Recht gibt, zeigt sich beim Finale am morgigen Mittwoch.