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Premiere Diese unglaubliche Botschaft

An die allumfassendste Botschaft, die es gibt, wagt sich das Ensemble Theatrum in Hohenerxleben mit einem neuen Stück.

Von Ulrich Meinhard 06.06.2017, 03:00

Hohenerxleben l Einfach macht es sich das Ensemble Theatrum Schloss Hohenerxleben gemeinhin nicht. Auf der kleinen Bühne im Weißen Saal werden seit Jahren immer wieder Stücke inszeniert, die Fragen aufwerfen über den Sinn des menschlichen Lebens. Jetzt hat sich die Truppe um Friederike von Krosigk dem wohl umfassendsten Thema gestellt, das Menschen in ihrem Herzen bewegen können: dem Gottesverhältnis. Zur Aufführung kam am 3. Juni das Stück „Claudia Procula, die Frau des Pilatus“.

„Gelitten unter Pontius Pilatus.“ So steht es im apostolischen Glaubensbekenntnis der Christen. Gesprochen wird es weltweit. Und immer wieder kommt also diese Zeile vor, immer wieder wird sie hergesagt: „Gelitten unter Pontius Pilatus.“ Pilatus also. Dieser römische Statthalter in Judäa und Samaria in den Jahren 26 bis 36, als in Rom Kaiser Tiberius regierte. Sein Name überdauert die Jahrtausende - und auch das mit ihm im Zusammenhang stehende Leiden. Das Leiden des Jesus von Nazareth. Der Römer überantwortete im Jahre 33 diesen Mann, der als Wanderprediger und Wunderheiler Aufsehen erregte, dem Tode durch die Kreuzigung. Dabei waren es die eigenen Leute, die Juden, die die Hinrichtung des gelernten Zimmermanns einforderten. So vehement, so voller Nachdruck, dass es selbst der römische Statthalter mit der Angst bekam - und gegen seine eigene Überzeugung das Todesurteil vollstrecken ließ. „Ich finde keine Schuld an ihm“, soll Pilatus der schreienden Menschenmenge zugerufen haben. Doch er hätte die Kreuzigung verhindern können - hätte er auf seine Frau gehört. Die hatte in der Frühe einen Traum und ließ ihrem Mann ausrichten: „Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten, denn ich habe heute viel gelitten im Traum um seinetwillen.“

Hier geht es um eine Beziehung, die, theologisch betrachtet, seit dem biblischen Sündenfall schwer gestört ist: die Beziehung Gott - Mensch.

Der Frau des Pilatus ist an dieser Beziehung gelegen. Der Göttin Isis wollte sie dienen bereits als Jugendliche. Da waren schon immer „diese seltsamen Fragen“, heißt es im Stück. Die Hohenerxlebener lassen sie in einem Tempel einen jungen Mann treffen, der ihr auffällt. „Ein klares Gesicht. Welche Zuversicht. Ein geborener Centurio - würde Vater sagen“, sagt sie, die der Legende nach die Tochter des Kaisers Tiberius war. Sie, die Suchende, die Seherin gar, wie es auf der Bühne vermittelt wird, erkannte unwillkürlich den, auf den nicht die Römer, nein, sondern die Juden seit Jahrhunderten so sehnlichst warteten: den Messias, den Gesandten Gottes. Sie erahnte ihn. Der sollte nach jüdischem Glauben das erwählte Volk Gottes aus aller Not erretten.

Doch die Juden hatten sich wohl einen anderen vorgestellt, einen, der mit Macht und Gloria kommt, mit strafender Hand. Keiner aus Nazareth. Kein Zimmermann. Keiner, der predigt: vergebt euren Feinden. Keinen, der sich nicht wehrt, keinen der sich foltern und hinrichten lässt.

Wenige haben damals erkannt, was tatsächlich gemeint ist. Die Frau des Pilatus war offenbar eine aus diesem kleinen Kreis der Sehenden. Dieses ungeheure Geschehen, diese Botschaft, dass Gott nicht straft, sondern sich erbarmt, nicht richtet, sondern Tipps gibt für ein freundliches und friedliches Miteinander der Menschen in ihrer von Hass, Missgunst, Gier, Gewalt und Krieg durchdrungenen Welt. Diese Botschaft scheint das Ensemble Theatrum transportieren zu wollen.

Nun, was ist das Besondere an dem Hohenerxlebener Stück, das zu großen Teilen aus eigener Feder stammt? Aus eigenen Federn wohlgemerkt, denn neben Friederike von Krosigk (die Frau des Pilatus), die sich wiederum auf einen Text ihrer Mutter Ingrid von Krosigk stützte, haben die Schauspieler Thomas Zieler (Pontius Pilatus), Hubertus von Krosigk (Jesus von Nazareth) und Hannah Vongries (Claudias Schwägerin) selbst an ihren Rollen geschrieben. Jeder führte Regie. Das alles unter einen Hut zu bekommen, dieses Mitdenkende, Mitformende dürfte schwierig genug gewesen sein. Ein Prozess, der Geduld braucht, auch Demut.

Doch zurück zur Frage. Was ist das Besondere? Gibt es eine neue Botschaft? Nein. Gibt es eine revolutionäre Auslegung? Nein. Es gibt jedoch Bilder, Szenarien, die das Wissen um das Geschehene erweitern - das vermeintliche Wissen freilich. Pilatus, der im Angesicht des Angeklagten von einem „harmlosen Träumer“ spricht, während der Hohe Rat der Juden in Jesus einen Gotteslästerer sieht, hadert im Stück mit seinem Schicksal. „Warum ich?“ Und seine Frau lässt wissen: „An jenem Tage wurde Pilatus alt.“ Er kommt von dieser Frage nicht los, die sich beim Verhör von Jesus ergibt: Was ist Wahrheit? „Quid est veritas?“ Eindrücklich das Bild, wie Pilatus als Angeklagter vor Jesus steht, der nun an seiner Stelle auf dem Richterstuhl sitzt - und die Furcht des Pilatus vor dem Urteil. Doch in den Augen des Nazareners ist, so wie damals, als er der Angeklagte war, Erbarmen. Die Botschaft, um die sich alles dreht, wird hier noch einmal verdeutlicht, sie wird glasklar.

Wunderbar der tiefe Seufzer von Jesus, sein bedauernd-hilfloses Achselzucken angesichts der ihn nicht verstehenden Menschen, die Wunder von ihm einfordern, als wäre er ein Magier auf der Bühne. Die göttliche Botschaft, vermutet er, ist vielleicht zu einfach, als dass die Menschen sie glauben könnten: Da ist nichts außer Liebe und Erbarmen. „Ein Erbarmen, das die Welt verschlingt“, resümiert die Frau des Pilatus.

Die Hohenerxlebener inszenieren mit Fingerspitzengefühl in jeglicher Hinsicht, verweben Textstücke, bedienen sich bei Buber und Rilke, verdichten bis hin zu Punkten, an denen der rote Faden fast verloren ist, die Handlung sich aufzulösen droht und werden schließlich in der Aussage des Stückes zu Botschaftern einer Botschaft, die noch immer unglaublich scheint.