1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. Sommerserie: Schönebeck: Als Zugbegleiter einen Tag mit der S1 unterwegs

Sommerserie Schönebeck: Als Zugbegleiter einen Tag mit der S1 unterwegs

Die Berufswelt ist vielfältig. Was verbirgt sich hinter welcher Tätigkeit? Volksstimme-Redakteure schnuppern in der Sommerserie „Einen Tag als ...“ in so manch interessanten Beruf hinein und geben Ihnen, liebe Leser, einen besonderen Einblick. Heute verbringt Reporter Tom Szyja einen Tag in der S-Bahn zwischen Schönebeck und Magdeburg.

Aktualisiert: 10.08.2023, 10:22
Mit der S-Bahn ging es vom Schönebecker Bahnhof bis hoch nach Osterburg in die Altmark.
Mit der S-Bahn ging es vom Schönebecker Bahnhof bis hoch nach Osterburg in die Altmark. Foto: Victoria Junge

Schönebeck - Sie bringt die Schönebecker morgens zur Arbeit und nachmittags wieder zurück: die S-Bahn. Neben den Lokführern, die die Züge fahren, braucht es auch Zugbegleiter, die die Fahrscheine der Reisenden kontrollieren und Ansprechpartner sind. Wie hat sich die Arbeit der früher als Schaffner bezeichneten Bahn-Mitarbeiter geändert? Was erleben die Beschäftigten in ihrer täglichen Arbeit, und was braucht man, um selber Zugbegleiter zu werden? Das habe ich bei einer Bahnfahrt der S1 zwischen Schönebeck und Osterburg, wo die Bahnen aufgrund von Bauarbeiten bei meinem Schnuppertag hielten, herausgefunden.

Lesen Sie auch: Als Kellner im Kurparkcafé mitten im Trubel zwischen Eis und Kaffee.

Witze über die verspätete Bahn sind so veraltet wie das Schienennetz in Deutschland. „Die Deutsche Bahn hat eigentlich nur vier Probleme: Frühling, Sommer, Herbst und Winter“, lautet einer von unzähligen Gags, die sich über die Probleme auf der Schiene lustig machen. Doch wie ist das eigentlich für die Mitarbeiter an vorderster Front? An einem Vormittag auf der Strecke Schönebeck-Osterburg habe ich das ausprobiert. „Guten Tag, hier noch jemand zugestiegen? Einmal die Fahrkarten bitte“, diese Sätze wollte ich schon immer mal sagen. Gabi Schwoch sagt sie schon eine ganze Weile. Sie ist in ihrem 44. Dienstjahr bei der DB, beziehungsweise beim DDR-Vorgänger, der Reichsbahn. Die gebürtige Stendalerin ist mit Leib und Seele Zugbegleiterin, aber auch froh, wenn sie in zwei Jahren in Rente darf. „Heute war wieder 4.31 Uhr Dienstbeginn, dass muss man schon wollen“, sagt sie mit einem Schmunzeln.

Von 1979 bis heute hat sich einiges an ihrem Beruf geändert. „Wir sind damals im Schotter rumgekrochen. Mussten die Bremsen der Züge prüfen. Das ist heute schon viel angenehmer“, erzählt die 60-Jährige. Eines ist aber seither gleich: Wer Zugbegleiter sein möchte, sollte mit Menschen klarkommen. Und das trifft auf Gabi Schwoch definitiv zu. Als eine Gruppe Schüler in Salzelmen zusteigt, fragt Schwoch sie, ob sie um 10.30 Uhr schon Schluss hätten. Die Schüler antworten, dass sie erst zur Schule hinmüssen. „Na das ist doch auch nichts, dann kommt ihr ja erst so spät raus“, sagt Schwoch zu den Jugendlichen. Die Zugbegleiterin hat immer einen Spruch auf den Lippen, ist dabei aber stets freundlich.

Neben dem Smalltalk kommt ihre Hauptaufgabe, das Kontrollieren der Fahrkarten, aber nicht zu kurz. Auch in dem Bereich hat sich in den letzten 40 Jahren viel getan. Wurden früher die Fahrscheine noch abgeknipst, wird das digitale Ticket jetzt nur noch gescannt. 95 Prozent aller Fahrscheine an diesem Tag sind digital, schätze ich. Noch vor einigen Jahren mussten Zugbegleiter dafür ein großes, schweres Gerät mitschleppen, dass gleichzeitig QR-Codes scannen und auch Fahrscheine ausdrucken konnte. Jetzt werden Fahrkarten mit einem kleinen mobilen Drucker erstellt, digitale Fahrscheine mit einem normalen Handy gescannt. „Das ist schon deutlich angenehmer so, da muss man nicht mehr so viel mitschleppen“, meint Schwoch.

Rad-Mitnahme mit Augenmaß

Aber auch bei den Zügen, in denen sie ihrer Arbeit nachgeht, hat sich einiges geändert. Die alten Bahnen fuhren fast alle mit Diesel. „Als ich das erste Mal eine Dampflok gesehen habe, da war ich erstmal baff. Das war schon eine Erscheinung“, erinnert sich die 60-Jährige. Heutzutage fahren nahezu alle Züge im Nahverkehr rein elektrisch. Nur in Ausnahmefällen kommen noch Dieselloks zum Einsatz. Eine Aufgabe für die Zugbegleiter ist in der heutigen Zeit auch die Beförderung von Fahrrädern zu überwachen. Zwar können Radler in Sachsen-Anhalt im ÖPNV den Drahtesel gratis mitnehmen, allerdings sind die Kapazitäten begrenzt. „Ich hab noch keinen mit Rad morgens stehen gelassen. Die müssen ja alle zur Arbeit“, meint die Zugbegleiterin. In den Zügen hängt ein Hinweisschild, dass es Platz für maximal sieben Fahrräder gibt. Doch da haben die Zugbegleiter immer Spielraum. Aber auch Gabi Schwoch wird noch überrascht. „Neulich wollte jemand mit einem Tandem zusteigen. Da habe ich erstmal gesagt: ’Schneiden sie mal hinten eine Hälfte ab.’ Wenn es nicht gerade morgens oder abends zur Rushhour ist, ist immer genügend Platz“, meint die Zugbegleiterin.

Aber sie hatte auch Erfahrungen mit Fahrgästen, die nicht sehr nett waren, wie sie es formuliert. Einmal „durfte“ sie nach einem Spiel des 1. FC Magdeburg deren Fans aus der Altmark begleiten. „Die haben meinen Mittelwagen komplett auseinander genommen. Da hab ich dann die Bundespolizei gerufen. Nachher war es wie in der Schule: Es will niemand gewesen sein“, erinnert sich die 60-Jährige. Auch abseits von Fußballspielen haben sie Fahrgäste schon unfreundlich angemacht. „Wenn jemand ’Blöde Kuh’ zu mir sagt, sage ich Dankeschön und Tschüss. Das war’s. Da mache ich mir überhaupt keinen Kopf“, sagt Schwoch trocken.

Aber auch solche Vorfälle gehören zum Leben als Zugbegleiter. Am heutigen Tag ist aber alles freundlich. Was vielleicht auch daran liegt, dass es der Zug absolut pünktlich ist. Schwoch weiß aus eigener Erfahrung, dass das nicht immer der Fall ist. Sollte es Verspätungen geben, fragt sie im Zug nach, wer noch Anschlusszüge hat. „Dann sage ich vor den großen Bahnhöfen wie Magdeburg an, welche Züge warten und welche leider nicht mehr erreicht werden können“, erklärt die Stendalerin. Seit wenigen Wochen gibt es eine größere Baustelle im Norden Sachsen-Anhalts, weswegen die S1 nicht mehr bis Zielitz oder Wittenberge fährt, sondern in Osterburg hält. Dort warten dann Busse, der berühmte Schienenersatzverkehr, auf Fahrgäste, die noch weiter wollen. Der Autor dieses Textes weiß aus eigener Erfahrung, dass die Baustelle zu Verspätungen oder ganzen Zugausfällen führen kann. Dennoch: Die S-Bahnen in Sachsen-Anhalt sind deutlich pünktlicher als die Züge im Fernverkehr. Die Nahverkehrsservice GmbH (Nasa) weist für die S-Bahnen der DB eine 95-prozentige Pünktlichkeit aus.

Gabi Schwoch scannt eine Fahrkarte mit dem Dienst-Smartphone.
Gabi Schwoch scannt eine Fahrkarte mit dem Dienst-Smartphone.
Foto: Tom Szyja

Auch zu Schwarzfahrern freundlich sein

Aktuell kontrolliert Gabi Schwoch sehr viele Menschen mit einem 49-Euro-Ticket. Seit dem 1. Juni ist der Nachfolger des Neun-Euro-Tickets im Abo-Modell erhältlich. Gibt es dadurch ein erhöhtes Fahrgastaufkommen? „Es ist schon mehr. Natürlich nicht so viel wie beim Neun-Euro-Ticket, aber die Züge sind schon voller. Und es gibt weniger Schwarzfahrer“, meint die Zugbegleiterin. Gerade in den „Dostos“, die Abkürzung für doppelstöckige Züge, wie ich heute lerne, sei es manchmal ein Katz-und-Mausspiel, wenn Personen ohne Ticket versuchen, sich in den Toiletten zu verstecken. Wenn sie einen Schwarzfahrer erwischt, gibt Schwoch demjenigen immer den Rat: „Sie können das auch in Raten zahlen, nur Geld wollen sie immer.“

Während Schwoch noch entspannt plaudert, erreicht die S-Bahn pünktlich um 11.57 Uhr Stendal Hauptbahnhof. Für die 60-Jährige bedeutet das am heutigen Tag: Feierabend. Ihre Schicht endet. „Morgen geht es um 4.31 Uhr weiter. Ich erwarte sie hier am Gleis“, sagt sie mit einem Augenzwinkern zu mir. Für sie übernimmt für die weitere Fahrt Nancy Gehn. Die 40-Jährige ist noch relativ frisch bei der Bahn. Vor drei Jahren hat sie als Quereinsteigerin bei der DB angeheuert. Vorher war sie als Briefzustellerin bei der Post beschäftigt, dann hat sie das Rad gegen den Zug getauscht. Am Anfang waren vor allem die vielen verschiedenen Tarife eine Herausforderung. „Vor allem wenn ich auf der Strecke nach Braunschweig eingesetzt werde, muss ich mich erstmal an die anderen Fahrkarten gewöhnen. Am Anfang hatte ich immer meine kleine Broschüre dabei“, verrät Gehn.

Nancy Gehn lässt sich zum Deutschlandticket einen Personalausweis zeigen.
Nancy Gehn lässt sich zum Deutschlandticket einen Personalausweis zeigen.
Foto: Tom Szyja

Auch wenn sie bislang nahezu nur positive Erfahrungen mit Fahrgästen hatte, so ist ihr auch eine extrem negative Begegnung in Erinnerung geblieben. Ein tätlicher Angriff auf sie beschäftigt zurzeit noch ein Gericht. Im vergangen Sommer, während des Neun-Euro-Tickets, wies sie einen Fahrgast daraufhin, doch bitte eine Maske zu tragen, da die Corona-Pandemie noch in vollem Gange war. Der Fahrgast verweigerte sich jedoch und zeigte Gehn, laut ihren Angaben, ein ungültiges Attest. Als sie ihn daraufhin bat auszusteigen, soll er sie mit Tritten malträtiert haben. Trotz dieses Vorfalls ist Nancy Gehn froh, dass sie vor drei Jahren den Wechsel von der Post zur Bahn gewagt hat. „Ich habe schon viele Stammgäste, da grüßt man sich schonmal, das macht Spaß“, erzählt die 40-Jährige. Während sie mit mir plaudert, kontrolliert sie derweil weiter Fahrgäste. Auch bei ihr zeigen viele das digitale Deutschlandticket vor. „Dazu bräuchte ich noch einmal den Ausweis“, ist dann meist der nachfolgende Satz“.

Auch Nancy Gehn war natürlich schon häufiger in verspäteten Zügen im Einsatz. Der häufigste Grund, den sie durchsagen muss, sei: „Der vor uns liegende Streckenabschnitt ist zurzeit noch blockiert.“ Gerade auf der Strecke der S1 komme dies häufiger vor, weil es hier meist nur ein Gleis gibt.

So langsam neigt sich meine „Schicht“ dem Ende entgegen. So viel Spaß es mir gemacht hat, bin ich doch froh demnächst wieder nur Fahrgast zu sein. Dann werde ich aber (noch) mehr Verständnis für die Arbeit des Zugpersonals aufbringen.