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Attentat Polizeischutz auch in Schönebeck

Um jüdische Einrichtungen und Orte zu schützen, war die Polizei nach den Schüssen in Halle auch im Salzlandkreis im Einsatz.

10.10.2019, 23:01

Schönebeck/Staßfurt/Bernburg l Eigentlich wollte Pastorin Claudia Sokolis-Bochmann die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in ihrer Dienstwohnung im Schalom-Eck verbringen. Ihr Mann Andreas Bochmann hatte sich zudem angekündigt, da das Paar von hier aus am Donnerstagmorgen zu einem Vortrag nach Bayern aufbrechen wollte. Doch dann änderte sich der Plan der Pastorin der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Schalom-Haus in Schönebeck durch den Angriff auf die jüdische Synagoge und einen nahe gelegenen Dönerimbiss in Halle.

„Mitbekommen habe ich die Vorfälle in Halle gegen ein Uhr mittags in den Medien und war entsetzt“, berichtet Claudia Sokolis-Bochmann am Donnerstagmorgen in den Räumlichkeiten der Gemeinde in der Republikstraße. Die Abfahrt nach Bayern hatte das Paar auf den Mittag verschoben. „Ich war gerade dabei, eine Predigt und Plakate zur Aktionswoche ‚Auf den Spuren jüdischen Lebens in Schönebeck‘ vorzubereiten als zwei Polizeibeamte um zwanzig vor vier am Nachmittag an der Tür zum Gemeindehaus klingelten“, berichtet die Pastorin.

Wie an vielen Orten jüdischen Lebens oder mit jüdischem Bezug in Sachsen-Anhalt positionierten sich nämlich auch vor dem Gemeindehaus und der angrenzenden Kirche der Baptistengemeinde mehrere Polizisten in zwei Streifenwagen als Reaktion auf die Vorfälle in Halle.

Schließlich handelt es sich bei dem Gotteshaus der Gemeinde um die ehemalige Synagoge der Jüdischen Gemeinde Schönebeck, die es heute nicht mehr gibt. Auch in Staßfurt gibt es keine jüdische Gemeinde mehr. In Bernburg hatte sich eine solche im Jahr 2008 neu gegründet.

„Dass wir eine freikirchliche Baptistengemeinde und keine jüdische Glaubensgemeinschaft sind, ist vielen nicht bewusst“, sagt die Pastorin.

Auch aus diesem Grund positionierte die Polizei die Beamten vor die ehemalige Synagoge in Schönebeck. „Auch das Beth-Schalom-Haus in der Edelmannstraße und zwei weitere Orte mit jüdischem Bezug wurden in Schönebeck bewacht“, berichtet Polizeisprecher Marco Kopitz auf Volksstimme-Nachfrage.

In Bernburg hätten Beamte zudem die Räumlichkeiten der dortigen jüdischen Gemeinde geschützt. Weitere Beamte standen schon bereit, um die Kollegen der Polizei in Halle zu unterstützen. Hinzugezogen wurde sie allerdings nicht.

Nachdem die Beamten bei Claudia Sokolis-Bochmann am Mittwochnachmittag geklingelt hatten, wurde die Pastorin gebeten, alle geplanten Termine für diesen Tag, die in den Räumlichkeiten der Gemeinde stattfinden sollten, abzusagen. Auf Anraten der Beamten und „zu ihrer eigenen Sicherheit“ verließ Claudia Sokolis-Bochmann ihren Wohn- und Arbeitssitz. „Mein Mann und ich haben dann bei anderen Gemeindemitgliedern Unterschlupf für die Nacht gefunden“, erzählt sie am Donnerstagmorgen.

Ganz neu war die Situation für die Pastorin, die seit November vergangenen Jahres die Schalom-Gemeinde in Schönebeck betreut, allerdings nicht. „Polizeischutz kenne ich noch vom G20-Gipfel in Hamburg“, erzählt sie, wo sie zu dieser zeit im Stadtteil Altona eine Gemeinde betreute.

Auch nachdem Claudia Sokolis-Bochmann das Schalom-Eck verlassen hatte, stand sie weiterhin mit der Polizei in Kontakt. „Am Donnerstagmorgen kam dann ein Anruf, dass die Gefahr gebannt sei“, berichtet sie. Doch auch am Morgen hatte die Polizei die Gemeindehäuser noch vermehrt im Blick, indem Streifenwagen die Republikstraße häufiger als sonst passierten.

Das Entsetzen über den „latenten Antisemitismus“, sprich den nicht unmittelbar sichtbaren Hass auf Juden, der am Mittwoch in Halle umso sichtbarere wurde, war auch am Morgen nach den tödlichen Schüssen im Gespräch mit Claudia Sokolis-Bochmann und ihrem Mann Andreas Bochmann noch deutlich zu spüren. „In Schönebeck wird intensiv am Thema Antisemitismus gearbeitet“, ist sich das Paar einig.

Passend dazu veranstaltet der Salzlandkreis in Kooperation mit der Stadt Schönebeck, dem Schönebecker Verein Rückenwind, dem Julius-Schniewind-Haus und der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Schalom-Haus vom 7. bis zum 17. November „eine Woche im Zeichen gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus“ unter dem Motto „Schalom – Auf den Spuren jüdischen Lebens in Schönebeck“.

„Die Tat im nahe gelegenen Halle zeigt leider, wie aktuell und vor allem wichtig die Jüdische Woche in Schönebeck ist. Wir müssen über Fremdenhass, Rechtsextremismus und Antisemitismus reden. Es muss klar sein, dass diese Einstellungen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben“, sagt Landrat Markus Bauer (SPD) und spricht den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. Die Tat in Halle bezeichnet er als „feige“.

Pfarrer Arne Tesdorff aus Güsten ist zutiefst schockiert über die Anschläge. „Vor allem weil unsere Tochter in der Stadt lebt und arbeitet, geht mir das persönlich sehr nahe. Ich hätte nie und nimmer damit gerechnet, dass so etwas ausgerechnet in Halle passiert.“ Da die Mitglieder jeder jüdischen Gemeinde „Geschwister im Glauben“ seien, fühle man sich als evangelische Kirchengemeinde in Güsten und Umgebung durch die Attacke selbst mit angegriffen. Von „Geschwistern im Glauben“ spricht auch das Ehepaar Bochmann.

In der Öffentlichkeit werde der Vorfall laut Arne Tesdorff derzeit jedoch auf einen Angriff auf eine Synagoge reduziert, „von dem Dönerladen, der ebenfalls unter Beschuss war, ist in den Medien keine Rede mehr.“