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Porträt Tierarzt Dietrich Horrmann aus Welsleben: Die Freiheit, sich selbst etwas aufzubürden

Viele kennen ihn als stets erreichbaren Tierarzt, der auch mal nachts zur Visite kommt. Darüber hinaus ist Dietrich Horrmann aber auch kommunalpolitisch eine Institution in Welsleben und Bördeland. Sein Engagement geht auf seine Erfahrungen der Wendezeit zurück.

Von Robert Gruhne 14.06.2021, 17:51
Zum Reiten kommt Dietrich Horrmann, hier auf seiner Koppel in Welsleben, selbst kaum noch. Foto: Robert Gruhne
Zum Reiten kommt Dietrich Horrmann, hier auf seiner Koppel in Welsleben, selbst kaum noch. Foto: Robert Gruhne Foto: Robert Gruhne

Welsleben - „Letzte Nacht habe ich einen Hund eingeschläfert und heute Morgen ein Pferd“, erzählt Dietrich Horrmann, der schnellen Schrittes durch die Reithalle schreitet. Obwohl seine Nächte kurz und die Tage lang sind, wirkt der Tierarzt kaum gestresst, sondern eher, als bräuchte er eine für andere schon lange überfordernde Betriebsamkeit, um überhaupt zufrieden zu sein. Sein letzter freier Tag war der 7. Januar, sagt er. 2020, wohlgemerkt.

Der Welsleber Dietrich Horrmann, der gerade 60 geworden ist, hat eine Tierarztpraxis in Calbe, ist Erbauer und Betreiber einer großen Reithalle und zudem seit über 30 Jahren in der Kommunalpolitik aktiv.

Handschlag mit Michail Gorbatschow

„Man muss immer wieder staunen, wie er das alles unter einen Hut bekommt“, sagt Hans-Jürgen Korn. Der ist Ortsbürgermeister von Welsleben und wie Horrmann im Ort ein Kommunalpolitiker der ersten Stunde nach der Wende.

Auf diese Zeit des extremen Umbruchs kommt Horrmann immer wieder zu sprechen, auch heute, als er schließlich im Aufenthaltsraum der Reithalle Platz nimmt. Die drei Telefone, die er nebeneinander auf dem Tisch aufreiht, klingeln unaufhörlich, aber Horrmann vertröstet die Anrufenden auf später. Jetzt nimmt er sich erstmal Zeit, um über seine Geschichte zu sprechen.

„An dieser Möglichkeit des Umbruchs teilzunehmen, das war für mich prägend“, erinnert sich Horrmann dann. In den 1980ern studierte er Tiermedizin in Berlin und war wie elektrisiert von dem von Michail Gorbatschow verkündeten Kurswechsel. „Das gibt es heute nicht mehr, dass eine einzige Person die Welt verändern kann“, sagt er. Als Gorbatschow nach Berlin kam, stand er jubelnd in der ersten Reihe und gab dem sowjetischen Generalsekretär die Hand.

„Man muss seinen Rucksack selbst packen!“

Dabei war Horrmann in der DDR eigentlich überhaupt nicht unzufrieden, sagt er. Er hatte einen von 150 Studienplätzen für Tiermedizin ergattert und konnte schließlich 1989 in der Praxis in Calbe anfangen – ganz in der Nähe von Welsleben, woher seine Familie stammte und wo sein Großvater noch lebte.

Aber etwas Wichtiges fehlte ihm noch. Horrmann wollte mehr Freiheit.

„Man wurde in seinem Beruf eingeengt“, fand der junge Tierarzt. Er war zwar beim Rat des Kreises angestellt und bekam ein sicheres Gehalt. „Aber wenn ich mein Benzinkontingent ausgeschöpft hatte, musste ich das privat zahlen“, gibt er als Beispiel für die kleinen und großen Einschränkungen.

Es sei für ihn deshalb eine „Herzenssache“ gewesen, 1989 bei einer Protestveranstaltung im Magdeburger Dom dabei zu sein. Bis heute ist Horrmann stolz darauf, dass er mit dem Zug weiter zur Magdeburger Stasi lief, wo bewaffnete Sicherheitskräfte standen. Horrmann ist sich sicher: „Ohne den Rückenwind von Gorbatschow wäre das nichts geworden.“ Am Morgen des Gesprächs, kurz nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, wird Horrmann das Gewonnene besonders klar: „Für mich ist jede Wahl erkämpft.“

Dietrich Horrmann spricht gern in Metaphern, um deutlich zu machen, wie sehr diese Zeit sein Handeln und Denken bis heute prägt: „Jeder hat einen Rucksack im Leben und sollte selbst sagen können, was er dort reinlegt. Sobald jemand anderes das macht, wird es zur Last. Man muss seinen Rucksack selbst packen!“

Bürgerinitiative Welsleben seit 30 Jahren aktiv

Die Freiheit, sich selbst etwas aufzubürden, hat Dietrich Horrmann in den anschließenden 30 Jahren auf jeden Fall gebührend genutzt. 1990 privatisierte er seine Praxis, die heute neun Angestellte zählt. In Welsleben gründete er zeitgleich mit Mitstreitern eine Bürgerinitiative. „Viele haben damals gesagt: Wie können wir in der Kommunalpolitik etwas machen?“, erinnert sich Horrmann. Und er machte dann einfach. Die Bürgerinitiative Welsleben entstand, die bis heute die Mehrheit im Ortschaftsrat stellt und auch zahlreich im Gemeinderat vertreten ist.

Seitdem hätte man für Welsleben „sehr viel erreicht, aber auch sehr viel erlebt“, findet Horrmann. Beispielsweise das Hin-und-her, mit wem der Ort fusionieren solle – Altenweddingen, Schönebeck, Biere und Eickendorf, schließlich Bördeland. Das Dorf habe sich alles in allem gut entwickelt, vor allem was die Straßen angeht, meint er: „Da hängen andere Orte weiter hinterher.“ Die neue Schule werde außerdem bald ein „Schmuckkästchen“ sein, findet Horrmann.

Dietrich Horrmann ist als Vertreter der Bürgerinitiative immer wieder gewählt worden. Er meint, als Kommunalpolitiker müsse man seine Bedürfnisse zurückstellen: „Man kann es nicht jedem recht machen, aber ich kann abends in den Spiegel gucken und sagen: Ich habe das Beste fürs Gemeinwohl rausgeholt.“

Vom Elefanten im Zirkus bis zur Mäusekastration

Durch seinen Beruf hat er mit vielen Kontakt und weiß, wo der Schuh drückt, erklärt Ortsbürgermeister Korn Horrmanns Ansehen im Dorf. Die Kunden hier besucht der Tierarzt immer erst spät abends, auch mal nach 22 Uhr. „Wenn die mich anrufen und fragen, wo der Tierarzt bleibt, sage ich immer: Wartet noch bis Mitternacht oder um eins, ob Herr Horrmann kommt. Und er kommt immer!“, schmunzelt Korn.

Als Tierarzt macht Dietrich Horrmann nach eigenen Angaben alles „vom Elefanten im Zirkus bis zur Mäusekastration“. Bei heiklen Sachen denkt er sich oft: „Ich bin der einzige, der jetzt helfen kann. Da muss man auch mal mutig sein.“

Wie zum Beispiel bei der 23-jährigen Elefantendame, der er eine Fußverletzung verbinden musste. „Die hatte schlechte Laune. Da kriege ich heute noch Nackenhaare!“, erinnert er sich. Nach einer Woche hatte er sie soweit, dass sie direkt auf ihn zukam und das verletzte Bein hochlegte, so dass er sie untersuchen konnte.

Größte Reithalle Sachsen-Anhalts

Horrmanns Leidenschaft gilt aber seit der dritten Klasse besonders den Pferden. In Welsleben errichtete er vor 14 Jahren in Eigenregie eine Reithalle. Von der Fläche her ist sie nach seinen Angaben die größte im Land. Er nutzt sie als Therapiehalle und für Operationen, aber vor allem leben hier 35 Pensionspferde.

Die Halle steht neben Horrmanns Familiengehöft. Während der DDR konnte die Familie nicht mehr darüber verfügen, so dass Horrmann in Alikendorf aufwuchs. Nachdem er nach Welsleben zurückgekommen war, kaufte er das Nachbargrundstück, wo er dann die Halle errichtete.

„Allein der Bau wäre ein Buch wert“, sagt Horrmann. Auf die Baugenehmigung wartete er jahrelang, aber dafür kostete die Halle durch die viele Eigenarbeit „nur“ eine Million Euro. Mittlerweile sei die Halle ein „solider Wirtschaftsbetrieb“, sagt er als Betreiber.

Ein Arbeitspensum, das ihn und andere fordert

Die Halle war etwas, das Dietrich Horrmann gern in seinen Rucksack packte, auch wenn es für die Familie oft eine Belastung war. Bei seinem Arbeitspensum kommt die Familie stets zu kurz, weiß er, aber die Arbeit ist für ihn eben Berufung. Seine heutige Lebenspartnerin habe diese in der Reithalle ebenso gefunden, sagt Horrmann glücklich.

Weil aber selbst ein Tausendsassa einmal abschalten muss, hat der Welsleber sich vor einigen Jahren ein Grundstück auf den Kanaren gekauft – oder wie er es sagt: hart erarbeitet. „Das ist meine Akkuladestation“, befindet Horrmann. Die Demut gegenüber der Natur und die Hilfsbereitschaft der Menschen dort gefalle ihm. „Auswandern werde ich aber nie“, stellt Horrmann klar. Zum OP-Tag am Mittwoch ist er immer wieder zurück.

Das Gespräch hat sich mittlerweile nach draußen verlagert und endet an der Koppel, wo einige der Pferde stehen, die in Horrmanns Reithalle betreut werden. Hier bedauert er, dass er selten noch dazu kommt, selbst zu reiten.

Schließlich steuert Horrmann seinen vollgepackten Kombi an, um zum nächsten Termin zu fahren. Wohin es geht? „Irgendwas steht bestimmt im Kalender“, antwortet Horrmann. Mit Sicherheit.

Die Reithalle in Welsleben baute Dietrich Horrmann mit viel Eigeninitiative. Foto: Robert Gruhne
Die Reithalle in Welsleben baute Dietrich Horrmann mit viel Eigeninitiative. Foto: Robert Gruhne
Foto: Robert Gruhne