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Corona-Pandemie Psychische Gesundheit geht uns alle an

Depression, Schizophrenie und Störungen - in Staßfurt kümmert sich eine Tagesstätte um Menschen, die sich nicht selbst helfen können.

Von Kim Kraft 22.09.2020, 12:10

Staßfurt l „Ich fühle mich wohl und geborgen und warm.“ So beschreibt eine 32-jährige Bernburgerin ihr Gefühl, wenn Sie bei Liane Röger in der Tagesstätte Bodeblick in Staßfurt ist. Dass sie sich gut fühlt, ist etwas Besonderes. Denn Sarah (*Name von der Redaktion geändert) hat eine schizoaffektive Störung und eine mittelgradige Depression. Wie ihr geht es auch den anderen Besuchern der Tagesstätte.

Die Einrichtung der Lebenshilfe Bördeland ist ein Ort der Geborgenheit und der Wiedereingliederung für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Hier kümmern sich Leiterin Liane Röger und ihr Team um Erwachsene, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht erwerbsfähig sind. Ihr Ziel: die Besucher der Tagesstätte in ihrem Alltag zu unterstützen und sie wieder in das „normale“ Leben einzugliedern. Und genau so empfinden es auch die Besucher. „Ich bin froh, dass ich hier die Chance habe, auf Menschen zuzugehen, die mir helfen. Menschen, die mir einen Weg zeigen, den ich gehen kann“, sagt Sarah.

Corona und die damit einhergehenden Abstandsregelungen und Hygienevorschriften belasteten im vergangenen halben Jahr uns alle. Doch für Menschen mit Angststörungen, hypochondrischer Veranlagung oder einer Depression war diese Zeit umso schwerer.

„Langsam baut sich alles zum Positiven auf. Davor war alles ekelig, belastend und ich war sehr nachdenklich“, beschreibt Sarah ihre Gefühle in dieser Zeit. „Natürlich trage aber auch ich eine Maske. Für den eigenen Schutz und vor allem zum Schutz der anderen. Ich will ja keinen anstecken. Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal so eingeschränkt leben werden.“

Für sie war die Zeit sehr hart, wie sie selbst erzählt. Liane Röger berichtet, dass sich Sarah besonders viele Sorgen um ihre Familie und Freunde machte, mit denen sie nur telefonisch Kontakt hielt. „Ich hatte hauptsächlich Angst. Die Menschen waren gefangen, weil sie ja nicht mehr leben konnten. Ich wollte einfach nur, dass alle die Situation überstehen“, blickt Sarah auf ihre Furcht vor dem Virus und den Einschränkungen zurück.

Doch auch sie selbst war eingesperrt in ihren eigenen vier Wänden. Am 19. März dieses Jahres musste die Tagesstätte schließen. Eine Katastrophe für Besucher und Personal. „Unsere Besucher hatten während der Zeit der Ausgangsbeschränkungen mehr Zeit zum Grübeln, wodurch sich auch die negativen Gedanken verstärken konnten“, denkt Liane Röger schmerzlich zurück. Besonders bei Menschen mit Depressionen wie Sarah sei so eine Zeit der Ausgangsbeschränkungen sehr schwierig: „Sie haben ohnehin schon übertriebene Zukunftsängste. Alles Negative im Leben wird vergrößert und zentriert und so eben auch diese Ängste bezüglich des Corona-Virus.“

Deshalb war es dem Team der Tagesstätte Bodeblick auch so wichtig, die Betreuung so gut es ging, aufrecht zu erhalten. Vor der Schließung sprachen sie mit jedem Besucher persönlich und erklärten ihnen die Situation. Zusätzlich arbeiteten sie Beschäftigungsmaterial für die Betroffenen aus und gaben ihnen Tipps, wie sie ihre Tagesstruktur, die bei vielen psychischen Erkrankungen wichtig für die Heilung ist, aufrecht erhalten konnten. Dazu zählen für „gesunde“ Menschen Selbstverständlichkeiten: zu festen Uhrzeiten aufstehen, regelmäßig Mahlzeiten einzunehmen, sich Zeit für schöne Dinge zu nehmen, also ein Buch zu lesen oder zu gärtnern, aber auch Entspannungsübungen und sich zu bewegen. „Wir haben außerdem eine Notfallbetreuung eingerichtet“, so Röger.

Dringende Therapien wurden telefonisch weitergeführt. „Wir haben natürlich versucht, alle so gut wie möglich zu unterstützen. Für die, die sich vorher schon in den Anfängen einer psychischen Krise befanden, kamen diese Einschränkungen noch erschwerend hinzu. Einige Besucher mussten stationär aufgenommen werden. Das waren hauptsächlich Menschen mit Depression und Schizophrenie“, erklärt Liane Röger.

Für Sarah kam es zum Glück nicht so weit. Sie nahm täglich telefonisch an einer Therapiesitzung teil und schaffte es, sich über Wasser zu halten.

Nur gut, dass es nicht zu einem kompletten Lockdown kam. Liane Röger sieht bei diesem Szenario schwarz: „Ich würde es bei keinem unserer Besucher gutheißen, wenn er in Quarantäne oder in einen Lockdown müsste. Die depressiven Betroffenen können wieder in eine Negativspirale rutschen. Die Borderliner, die aufgrund der Kontaktverbote dann plötzlich auf sich selber gestellt sind, wirft die Belastung völlig aus der Bahn. Genauso die Menschen mit einer psychotischen Erkrankung - für die ist ein Kontaktverbot extrem anstrengend.“

Sarah ist zwar erst seit Anfang 2020 Besucherin bei Liane Röger, doch schon jetzt schätzt sie die Einrichtung sehr: „Der Besuch der Tagesstätte ist mir sehr wichtig. Hier bin ich mit meiner Krankheit nicht allein.“