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Coronatod Dramatische Lage im Pflegeheim

Neun Bewohner im Giersleber Altenpflegeheim sind innerhalb weniger Tage gestorben.

Von Falk Rockmann 28.01.2021, 05:47

Giersleben l Am Freitag, 8. Januar habe es angefangen, erzählt Jana Richter, was schwer zu fassen ist. Sie betreibt mit ihrem Mann das Altenpflegeheim in Giersleben. Zwei Bewohner und ein Mitarbeiter wurden positiv auf das Virus getestet. Am Anfang sei alles recht moderat gewesen. „Dann kam die Keule: massenhaft Bewohner und massenhaft Kollegen. Nicht alle hatten Symptome.“ Aber auch die kamen dann ziemlich plötzlich.

Neun Bewohner verlor das Altenpflegeheim seit dem, 35 sind positiv getestet worden, dazu 30 von 51 Mitarbeitern. Auch Jana Richter und ihr Mann Stefan sind davon betroffen.

Erst am Montag und Dienstag dieser Woche sei es etwas ruhiger geworden. Es kamen keine Fälle mehr hinzu. „Aber es geht nicht bergauf“, sagt Jana Richter. „Der psychische und körperliche Druck hinterlässt Spuren. Keiner geht nach Hause und hat Feierabend.“ Zehn Pflegekräfte befänden sich momentan im Krankenstand. „Und wer wiederkommt, ist nicht fit wie ein Turnschuh.“

Es existiert die sogenannte „Arbeits-Quarantäne“, bei der Mitarbeiter auf freiwilliger Basis lediglich zwischen Arbeit und Wohnung pendeln dürfen. Eine Alternative gebe es nicht, unterstreicht Richter. Denn die bisherigen Hilferufe hätten nicht wirklich etwas von außen gebracht. Keine Bundeswehr, keine Hilfe seitens des Gesundheitsamts. Vom Ort sei auch nichts zu erwarten. „Hier hätte man ja wenigstens mal fragen können, ob der Winterdienst mit erledigt werden könne“, so die 38-Jährige.

Nur durch eigene Aktivitäten habe man Helfer akquirieren können. Doch auch da gebe es schon nach kurzer Zeit wieder Ausfälle. „Uns ist bewusst, dass wir unter Hardcore arbeiten und nicht jeder so nervenstark ist. Manche verkraften das einfach nicht.“ Allein acht Stunden und länger unter Vollschutz zu arbeiten ist für Außenstehende nur sehr schwer vorstellbar. Jana Richter ist dennoch für jede tatsächliche Hilfe dankbar.

„Wir haben uns bis jetzt überwiegend selbst gekümmert“, blickt die Heimleiterin auf die vergangenen zweieinhalb Wochen. Ehemalige Mitarbeiter konnten für diese Zeit gewonnen werden. Intern habe man Pflegehelfer umgesetzt. Aus der Wäscherei, aus der Küche. „Alles steht und fällt mit den Mitarbeitern, die zurückkommen und wieder einsatzbereit sind“, macht Jana Richter deutlich.

Selbst wenn die Bundeswehr sich anbiete. „Sie dürfen auch nicht wirklich helfen“, erklärt sie. Nicht mal Essen reichen wäre erlaubt. Außerdem könne man auch nicht endlos Helfer einsetzen, die sich im Haus nicht auskennen, die das jeweilige Befinden jedes Bewohners nicht kennen würden.

„Und Beraten hilft nicht weit“, kommt sie auf die Hilferufe zurück, von denen einer übrigens auch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen erreichte, welcher nach eigenen Aussagen sofort reagierte – mit Verweisen auf verfügbare Hilfsangebote.

Zum Kontakt mit dem Salzlandkreis erklärt Jana Richter, dass es Anfangs einen guten Austausch gegeben habe. Mit dieser Kommunikation sei nach Erscheinen eines Beitrags in der Mitteldeutschen Zeitung aber schlagartig Schluss gewesen.

Wie der Salzlandkreis bestätigt, stehe man seit Beginn des Ausbruchsgeschehens mit dem Pflegeheim in Giersleben „im ständigen Kontakt, um sowohl zu helfen als auch zu beraten. Beraten haben wir unter anderem zur Durchführung von Tests sowie zu Möglichkeiten, wie mit Personalengpässen umgegangen werden kann.“ Pressesprecher Marko Jeschor erklärt weiter: „Dazu wurden die Kontaktadressen der Hotline des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, der Heimaufsicht und dem Ministerium für Gesundheit bereitgestellt. Was jedoch nicht Aufgabe speziell des Gesundheitsamts ist, ist die Personalakquise. Das ist allein Aufgabe des Trägers der jeweiligen Einrichtung.“

Festhalten möchte das Gesundheitsamt des Salzlandkreises zudem, „dass Frau Richter die Kolleginnen und Kollegen regelrecht mit E-Mails bombardierte, aus denen hervorging, dass sie einen Anspruch auf sofortige Antworten, Reaktionen und Handlungen erhob und den Eindruck einer exponierten Stellung ihrer Einrichtung proklamierte.“

Sicher auch ein Ausdruck der Verzweiflung.

Jeschor verweist darauf, dass Infektionen insbesondere in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen, Kindertagestätten und auch Pflegeheimen aufgrund der Vielzahl möglicher Kontakte einen vergleichsweise hohen Aufwand bedeuten. „Aktuell sind es 24 dieser Einrichtungen im Salzlandkreis, die unsere besondere Aufmerksamkeit benötigen und erhalten.“ Unabhängig davon unterstütze man den Betreiber, wie ausgeführt, nach Kräften. Das unterbreitete Angebot, per Amtshilfe Bundeswehrsoldaten (und auch Sanitätssoldaten) anzufordern, sei vom Betreiber abgelehnt beziehungsweise vom Betreiber nicht weiter nachverfolgt worden. „Notwendige Anträge zu letztgenanntem Sachverhalt sind bei uns jedenfalls bis heute nicht eingegangen. Andere Pflegeeinrichtungen im Salzlandkreis mit ähnlichen Problemen nehmen gleichlautende Angebote durchaus an.“

Am Mittwoch voriger Woche wurden alle Bewohner und alle Mitarbeiter getestet. Am Dienstag dieser Woche erst seien die Ergebnisse gekommen, moniert Jana Richter. „Wir hätten das gern eher gewusst, aber – aus Datenschutzgründen... Das ist doch aber für uns alle elementar wichtig, zu wissen, ob jemand ansteckend ist“, beklagt sie.

Man habe sie zudem bis dato im Unklaren gelassen, ob es sich bei dem Virus um die neuen Mutanten handelt, weil es so schnell kam. „Dieser extreme Verlauf wirft doch Fragen auf!“ Beispielsweise, wo es herkam.

Sie hoffe, dass sich da bald was ändere. Auch im Interesse anderer Häuser.

An der Meldekette habe es jedenfalls nicht gelegen. „Wir haben uns nachweisbar schriftlich gemeldet. Wir haben zudem die Verordnungen immer verschärfter angewandt“, versichert Richter, auch gegenüber Rettungssanitätern oder Bestattern.

„Bewohner haben wir zu Weihnachten nicht zu ihren Angehörigen nach Hause gelassen. Das erschien uns als zu riskant“, berichtet sie weiter. Auch an die Stärkung der Abwehrkräfte ihrer Leute habe das Haus gedacht, mit Vitamin-Gaben und Kräutern und so weiter. „Trotzdem hat es uns erwischt.“

Zur Frage der Virusmutationen erklärt der Salzlandkreis, dass der Verwaltung diesbezüglich aktuell keine Erkenntnisse vorlägen.

Wer dem Altenpflegeheim seine Hilfe unter der Voraussetzung von Pflegevorerfahrung anbieten will, melde sich per E-Mail unter jrichter@richterpflege.de