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Handwerk Der letzte Orthopädieschuhmacher

Jörg Seifert arbeitet in fünfter Generation in Staßfurt im familiengeführten Unternehmen als Orthopädieschuhmacher.

01.08.2019, 05:19

Staßfurt l Das schallende Lachen von Jörg Seifert geht von Wand zu Wand in der kleinen Werkstatt, auch wenn die Stimme manchmal zwischendurch ganz schön leise ist. Es ist wahrlich ein anstrengender und zeitintensiver Job, den der 57-Jährige ausführt. Aber er hat Spaß daran. Noch immer. Nach all der Zeit und all den Entbehrungen.

Jörg Seifert führt das Fachgeschäft „Orthopädieschuhtechnik Schröter & Seifert“ in der Staßfurter Goethestraße seit 1998. Seit 1906 gibt es an dieser Stelle speziell maßangefertigte Schuhe. Seifert führt das Familienunternehmen jetzt in fünfter Generation. Schon jetzt weiß er, es wird die letzte sein. „In acht Jahren ist Schluss“, sagt Jörg Seifert. Dann geht er in Rente. Einen Nachfolger wird es nicht geben. Weil die zwei Töchter und der Sohn das nicht wollen und auch weil Seifert selbst das nicht will. Zu anstrengend und unsicher ist der Job. Seifert steht um 3.30 Uhr auf, um 4.15 Uhr betritt er den Laden. Normaler Betrieb ist bis 17 Uhr, danach macht er noch ab und zu Hausbesuche. Freizeit kennt er kaum. Urlaub? Hat er sonst auch mal im Juli/August. In diesem Jahr nicht. 2019 erlaubt er sich selbst erst im Oktober Urlaub. Mit der Frau. Zum Hochzeitstag. „Passt ja also ganz gut.“ Jörg Seifert lacht.

Gelernt hatte Jörg Seifert zu DDR-Zeiten Dreher, nach der Wende machte er in Frankfurt am Main seinen Meister als Schuhmacher, später in Dresden dann als Orthopädieschuhmachermeister. Und 1998 übernahm er dann vom Schwiegervater das Geschäft. „Vor 20 bis 30 Jahren war das noch ein anderes Arbeiten“, erzählt Seifert. „Heute wird nur noch diktiert, der Bürokratismus ist angestiegen.“ Die bedruckten Blätter stapeln sich in seinem kleinen Büro zwischen Laden und Werkstatt, Angestellte hat er keine mehr. „Meine einzige Angestellte ist meine Frau.“ Da ist es wieder, dieses schallende Lachen aus müden Augen. Für Angestellte reicht es finanziell nicht.

Dass Seifert überhaupt noch überleben kann, liegt an seiner Zweitfiliale in Bernburg. Zweimal die Woche, am Dienstag Nachmittag und am Donnerstag Vormittag akquiriert er Kunden in der Saalestadt. „Ohne Bernburg geht‘s nicht“, sagt Seifert. „In Staßfurt kann ich meine Kunden an zwei Händen abzählen. 90 Prozent meiner Kunden habe ich in Bernburg.“

Dabei ist es ja nicht so, dass kein Bedarf da wäre. Die Menschen werden immer älter und somit steigt auch der Bedarf nach handgefertigten orthopädischen Schuhen. Für Seifert gibt es aber zwei Entwicklungen, die ihm die Arbeit erschweren. Zum einen sind es die Krankenkassen, die ja den größten Teil der Kosten der über 1000 Euro teuren Schuhe übernehmen: „Die Kassen lehnen zuviel ab“, sagt er.

Zum anderen sind es die Kunden selbst, die die Flaute verursachen. Die gehen vermehrt in Sanitätshäuser. Auch hier gibt es große Verbünde, Ketten also, die die Kunden von kleinen Läden abziehen. „Ich hatte da auch mal ein Angebot, dort zu arbeiten“, sagt Seifert. Der ist aber lieber sein eigener Chef. Und bleibt es auch.

Und mehr und direkter Kontakt ist ja auch das Ding von Jörg Seifert. Jeder Schuh ist ein kleines Kunstwerk, hier tobt er sich aus, trotz gestiegener Ansprüche. „Am liebsten stelle ich orthpädische Schuhe her, ich mache aber auch Schuhzurichtung, stelle Einlagen her. Der Anspruch heutzutage ist, dass der Schuh wie ein konfektionierter Schuh aus dem Schuhladen aussieht.“

Was auch eine Herausforderung ist. Mode geht auch an Gesundheitstretern nicht vorbei. Jörg Seifert reicht eine Broschüre. Bunt sind die Schuhe, sie haben Streifen, Verschnörkelungen und andere Muster. Könnte auch eine Broschüre eines großen bekannten Schuhhändlers sein. Gesundheit muss nicht hässlich sein.