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Heitere Stadtgeschichten Stadtgeschichte Barby: Wie ein Gerüst zur Dorfsanierung beitrug

In loser Folge wird heute die Serie heiterer Geschichten fortgesetzt. Die 25. Story spielt 1997 in Glinde und ist ein Kabinettstück in Sachen Schlitzohrigkeit.

Von Thomas Linßner 15.07.2023, 10:38
Potemkinsches Haus von Glinde: Bürgermeister Norbert L. zeigt der Kreiskommission das Haus, das aus Wettbewerbsgründen hinter einer Baurüstung versteckt wurde. Das Preisgeld floss später in die wirkliche Sanierung.
Potemkinsches Haus von Glinde: Bürgermeister Norbert L. zeigt der Kreiskommission das Haus, das aus Wettbewerbsgründen hinter einer Baurüstung versteckt wurde. Das Preisgeld floss später in die wirkliche Sanierung. Zeichnung: Thomas Linßner

Glinde - Für Glinde eröffnet sich die Möglichkeit, am Bundeswettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ teilzunehmen. „Was iss’n das schon wieder? Was kommt da auf uns zu?“, will der skeptische Gemeinderat wissen. Nachher geißeln wieder Kosten den Haushalt und es wird eine Riesenwelle gemacht, bei der nichts raus kommt. Bürgermeister Norbert L. beruhigt seine Leute und bemüht ein Beispiel: „Nee, nee. Da ist kein Haken dran. Das ist ungefähr so wie zu DDR-Zeiten, wo es ’Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach mit’ hieß.“

Voraussetzung sei natürlich, dass das Dorf picobello in Ordnung ist. Die Hausbesitzer sind aufgefordert, ihre Fassaden schmuck zu machen, so sie es noch nicht sind.

Aber die meisten, ja, fast alle, sind es.

Fast.

Also wird demnächst eine Kommission des Landkreises Schönebeck durch Glinde schlurfen, die mit kritischem Blick einen Rundgang macht.Es ist weithin bekannt, dass Glinde mit einer gut funktionierenden dörflichen Gemeinschaft punkten kann. „Deswegen“, hebt der Bürgermeister den Finger, „brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.“ Er ist sich sicher, dass die kommunalen Gutachter von der „Lichtmess“, dem erfolgreichen Handballsport, Aktionen der Angler und der schönen Auenlandschaft beeindruckt sein werden.

Und auch vom zuweilen schlitzohrigen Charme seiner Bürger, die von den anderen Dörfern ein bisschen neidisch „Glinder Kuckucks“ gerufen werden. Was zwar komisch klingt, wohl aber ehrerbietig gemeint ist.

Ein schöner Batzen Geld

Warum also nicht am Wettbewerb, dessen erste Etappe der Kreisausscheid ist, teilnehmen? Denn es winkt ein schöner Batzen Geld für die Dorfkasse.

Die Tage gehen ins Land, die Unterlagen für den Wettbewerb sind ausgefüllt. Der Termin der Wahrheit ist festgezurrt, wann die Damen und Herren der Kommission kommen wollen. Die Fassaden der Bauernhöfe erstrahlen in stolzer Würde, als käme der Bundespräsident. Die Straßen sind gefegt, die Blumenkästen gegossen, sogar ein paar Fahnen in den Ortsfarben weiß-blau flattern im Wind.Das Sahnehäubchen am Rand der Dorfstraße sind sogenannte Milchböcke, auf denen Aluminium-Milchkannen zwischen Geranien stehen, als würde man das Jahr 1954 schreiben.

Doch ein Umstand könnte den Glindern das obere Wettbewerbstreppchen verhageln: Es ist die alte Bäckerei unweit der St. Matthäuskirche. Sie steht seit Jahren leer und hat erheblichen Sanierungsbedarf. Das Haus gehört Lichtmess-Nestor Wilhelm T., der nur wenige Tage im Jahr hier wohnt. Dereinst betrieben seine Eltern eine der beiden Bäckereien des Ortes. Wilhelm lebt in der Nähe von Potsdam und ist quasi eine fleischgewordene Lichtmesssonne. Oder Bratwurst. Oder gar der Erbsenbär. Wie es eben oft bei Leuten so ist, die fern der alten Heimat leben und voller Wehmut an ihre Kindheitstage denken. Wilhelm bringt sich kolossal ein, wenn es um die Lichtmess geht. Für sein Elternhaus eher weniger. Er will es der Gemeinde vermachen, sich aber vorbehalten, ein Stübchen für die wenigen Besuche bewohnen zu dürfen.

Haus ist ein Schandfleck

Und das ist die Krux. Weil Wilhelm nur selten kommt, friert eines Winters die Wasserleitung ein, platzt und versaut die Fassade.

Fazit: Das Haus, die alte Bäckerei, ist ein Schandfleck im Ortsbild.

Was wird die Kommission dazu sagen? Punktabzug dürfte gewiss sein.

Doch weil Bürgermeister Norbert mit einem Quäntchen blitzgescheiter Schlitzohrigkeit gesegnet ist, hat er eine Idee: Wir stellen vor dem Haus eine Baurüstung auf. Die suggeriert, Wilhelms Ruine wird gerade saniert. Gemeindearbeiter Heinrich S. rüstet das Gebäude fix ein, von bröckelndem Putz sieht man nicht mehr viel.

Dann ist es soweit: Die Jury kommt!

Barby
Barby
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„Das ist unser letztes Objekt, wo wir noch was machen müssen. Sonst ist das Dorf ja in Ordnung“, zeigt Norbert L. wie beiläufig auf die Baurüstung. Dabei versucht er diskret, das Mienenspiel der gestrengen Gutachter zu ergründen. Doch die Damen und Herren gucken auch nicht anders, als zuvor. Keine Skepsis ist erkennbar.

Bingo!

Wochen später machen der Ortschef und sein Rat einige Flaschen Sekt auf: Glinde hat den Kreiswettbewerb gewonnen und wird zum Landesausscheid delegiert!

450 Orte nehmen daran teil. Das Elbedorf bekommt eine Silbermedaille und ... 100.000 D-Mark!!!

Verknüpft mit Fördermitteln wird wenig später die alte Bäckerei, der einzige Störfleck des Dorfes, saniert.

Wirklich saniert!

Im nachfolgenden Sommer - die Blumen blühen, auf einer Scheune klappert der Storch, die Deko-Milchkannen auf den Holzbänken blitzen in der Sonne - hört man einen Kuckuck rufen. Er klingt lauter, ausdauernder und fröhlicher als sonst.

Später wird das Haus mit der „Potemkinschen Fassade“ als Lichtmessmuseum in die Ortsgeschichte eingehen.