1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Staßfurt
  6. >
  7. Bei Flüchtlingsfragen ...

Staßfurter Projekt Bei Flüchtlingsfragen ...

„Bei Flüchtlingsfragen - Flüchtlinge fragen!“ Diesen prägnanten Titel haben sich Staßfurter Gymnasiasten für ihr neues Projekt überlegt.

Von Franziska Richter 02.03.2016, 17:17

Staßfurt l Weder Lehrer, Schulleitung noch dritte Organisationen stecken hinter dem Projekt, das jetzt am Staßfurter Gymnasium angelaufen ist. Die Idee kam direkt von Schülern aus den höheren Klassenstufen, speziell von Sabrina Janisch. Die Schülerin aus der 12. Klassenstufe ist mit ihren beiden Klassenkameradinnen Alexa Wiegandt und Judith Arndt über die Wanderausstellung zu Anne Frank, die am Gymnasium zu sehen war, für eine „Botschafter-Ausbildung“ nach Berlin gereist. Über die Bundeszentrale für politische Bildung haben sich die drei jungen Frauen im Oktober zum Referenten ausbilden lassen, um Schüler an ihrer Schule durch die Ausstellung zu führen, aber auch allgemeiner um eigene Projekte für Demokratie und Menschenrechte in ihrem Heimatorten durchführen zu können.

Schon in Berlin „hatten wir verschiedene Ideen für Projekte“, erzählt Sabrina Janisch. Zwischen verschiedenen Themen schwirrte der Schülerin besonders die Flüchtlingsthematik durch den Kopf. Dieses bewegte sie damals und bewegt sie bis heute am meisten. „Ich höre vor allem Negatives und Vorurteile über die Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, ob auf Facebook oder im persönlichen Kontakt mit den Menschen“, sagt Sabrina Janisch. Bei den vielen Hasstiraden und Hetzkommentaren sei ihr aufgefallen, dass vermeintliche Fakten eher Vermutungen oder Vorurteile seien.

Aber wie sieht es denn wirklich aus? Wie ist die Realität für jemanden, in dessen Heimat Krieg herrscht und der sogar soweit geht, seine Familie zu verlassen, um dem Chaos zu entkommen? Dies seien doch die eigentlichen Fragen, die man stellen müsste - dachte sie sich.

So entstand der Projektname „Bei Flüchtlingsfragen Flüchtlinge fragen.“ Das Team, das mittlerweile auf acht Schüler der Klassen 10 bis 12 angewachsen ist, will aufklären über die aktuelle Flüchtlingskrise und beginnt damit direkt am Gymnasium. Sabrina Janisch und ihre Klassenkameradinnen zogen los und holten sich das Okay von der Schulleitung und Unterstützung von den Lehrern.

Die Lehrer vor allem aus dem Bereich Sozialkunde fanden das Projekt geeignet für ihren Unterricht und wurden auch „Paten“ für das Projekt. Weitere Paten außerhalb der Schule fanden sich, um das Projekt offiziell zu unterstützen. Dazu gehört die Urania, die den Kontakt zu Flüchtlingen herstellte, der Internationale Bund, der mit seiner Kontaktstelle in Staßfurt Ansprechpartner für Flüchtlinge ist, aber auch das Anne-Frank-Zentrum oder Nicole Gallinat, Flüchtlingskoordinatorin im Kirchenkreis Egeln, stehen Pate. Über Stadträtin Bianca Görke und den Bundestagsabgeordneten Jan Korte haben die Schüler Spendengelder aus dem Sozialfonds der Partei bekommen. Jan Korte hatte bereits das Ausbildungsseminar der Schülerinnen am Anne-Frank-Zentrum im vergangenen Jahr mit einer Spende unterstützt.

Sabrina Janisch hat sich sogar beim Elektronikkonzern, der derzeit mit einem ähnlich aufgebauten Satz wirbt, erkundigt, ob sie den Titel „Bei Flüchtlingsfragen Flüchtlinge fragen“ verwenden darf.

Über die Urania kam schließlich der Kontakt zu Mohammed Al-sahli, der schon länger in Deutschland lebt und unter anderem bei der Urania als Dolmetscher für Arabisch-Deutsch immer wieder in Erscheinung tritt. Seine Landsleute, die aus ihrer Heimat flüchteten und in Staßfurt angekommen sind, „suchen wirklich den Kontakt zu Menschen aus der Stadt“, erklärt er. Deswegen war es für ihn nicht schwer, Syrer zu finden, die am Projekt der Schüler interessiert waren.

Norma Fayad und Abdulmasshi Achi sind ein junges Ehepaar, die vor einigen Monaten aus Syrien gekommen sind, und in Staßfurt-Nord leben. Die beiden haben Sabrina Janisch und ihre Klassenkameraden gleich zu sich nach Hause eingeladen. „Es war ein schöner angenehmer Besuch“, sagt Sabrina Janisch über den Abend, auf den gleich der Projektstart am Gymnasium folgte. „Die Atmosphäre war entspannt. Nicht nur wir haben geredet, sondern sie haben uns auch viele Fragen gestellt und wollten wissen, wie sich unser Leben hier gestaltet“, sagt sie. Auch Dolmetscher Mohammed Al-sahli betont: „Die Migranten in Staßfurt-Nord würden sich freuen, wenn sich Schüler finden, die sie ab und zu mal treffen oder besuchen“.

Die Syrer werden nun öfters zu Gast am Gymnasiums sein. In Gesprächsrunden erzählen sie über ihre Flucht nach Deutschland, ihr altes Leben in Syrien und über die Situation hier. „Mit den Lehrern haben wir geplant, diese Gesprächsrunden jetzt jeweils im Sozialkundeunterricht der 9. bis 12. Klassen anzubieten“, erläutert Sabrina Janisch, „vielleicht gehen wir später damit auch in den Ethik- oder Religionsunterricht.“

Der erste Termin verlief für das Schülerteam sehr erfolgreich. „Das war eine lockere Runde. Basel war sehr aufgeschlossen und hat auch den einen oder anderen Witz gerissen“, findet die Organisatorin. Basel Mashal aus Syrien war ebenfalls mit eingeladen worden. Der 17-Jährige wird zur Zeit von Mohammed Al-sahli betreut, weil er ohne Eltern auf der Flucht war.

Als er nach seiner persönlichen Geschichte im Gespräch mit der Klasse 9/1 gefragt wurde, wurde es still und nachdenklich. „Sein 28-jähriger Bruder ist im Krieg gestorben“, erzählt Sabrina Janisch nach, „dann haben seine Eltern Geld gespart, damit er fliehen kann. Mit 18 Jahren wäre er sonst von der Armee eingezogen worden. Er war fünf Monate lang unterwegs.“