Stadtgeschichte Das wandelnde Historienlexikon
Zahlengenie Jörg Puhl führt seit 2017 Stadtführungen in Staßfurt durch. Die Geschichte Staßfurts musste er sich erst aneignen.
Staßfurt l Der Stein des Anstoßes muss gar nicht so groß sein. Aber wenn man Jörg Puhl nur das kleinste Bröckchen hinlegt, dann fährt der Aschersleber groß auf. Wann waren die Askanier in diesen Gegenden unterwegs? Wann ist der Todestag von Albrecht den Bären? Oder wann gab es eine große Pestwelle in der Region? Legen Sie Ihr Handy beiseite, vergessen Sie es zu googlen. Das wandelnde Historienlexikon Jörg Puhl schießt die Zahlen ohne mit der Wimper zu zucken aus der Hüfte und braucht dafür auch kein Wikipedia.
Seit 2017 gibt der 45-Jährige Stadtführungen in Staßfurt. Nachdem Peter Knauf im Frühjahr dieses Jahres sich zurückgezogen hatte, ist Puhl nun der einzige Stadtführer vom Stadt- und Bergbaumuseum. Dabei ist Jörg Puhl gar kein Staßfurter, sondern Aschersleber. Und geboren wurde der kleine Jörg in Wippra im heutigen Landkreis Mansfeld-Südharz. Zu Staßfurt hatte er lange gar keinen Bezug. „Ich habe 2017 ein Praktikum im Stadt- und Bergbaumuseum gemacht“, sagt Puhl. „Vorher kannte ich Staßfurt gar nicht wirklich“, muss er zugeben. Im Februar 2004 war er schon im Museum, auch 1995 hatte er der Bodestadt einen Besuch abgestattet. Aber gewusst hat er von Staßfurt kaum etwas.
Dabei ist ja Jörg Puhl schon immer interessiert an Historie. Neben Geografie, Deutsch und Musik zählte Geschichte in der Schule zu den Lieblingsfächern. Dann machte er eine Lehre als Bürokaufmann. Die Liebe zur Geschichte aber blieb. 1999 machte er eine Ausbildung zum Stadtführer, arbeitete danach durch Maßnahmen vom Arbeitsamt im Archiv (November 1999) und im städtischen Museum Aschersleben (Februar 2000). Danach gab es für ihn einen Lehrgang als Chronisten und Hobbyforscher. Puhl ist zudem Mitglied bei der Geschichtswerkstatt Aschersleben. Eine Interessengemeinschaft, die schon seit 1992 Historienliebhaber zusammenbringt. Er hat aber auch schon Praktika auf der Wasserburg in Egeln gemacht.
„Von Gernrode über Hoym, Ballenstedt, Suderode und Bernburg, aber auch Wegeleben, Köthen und Dessau. Das sind meine Bereiche, die mich interessieren“, meint Puhl. Er forscht aber auch zu KZ-Außenlagern in Staßfurt und Aschersleben. Und ist nun auch der Mann, der Touristengruppen Staßfurts Historie näher bringt. Erst vergangene Woche führte er eine Gruppe aus Magdeburg durch die Innenstadt.
„Bestimmte Sachen wusste ich über Staßfurt, andere musste ich mir erarbeiten“, sagt Puhl. Was ist einmalig in Staßfurt? Das hat Jörg Puhl schnell herausgefunden. „Das Rondell, das eines der größten im mitteldeutschen Raum ist und seit dem 15. Jahrhundert quasi unverändert ist.“ So gebe es beispielsweise in Aschersleben einen Fachwerkaufsatz aus dem 19. Jahrhundert. „Der ist zwar schön, aber nicht mehr ursprünglich.“ Jörg Puhl bringt den neugierigen Gästen auch Staßfurts Laurentiusschatz näher, eine kostbare Sammlung verschiedener Trinkgefäße aus dem 17. Jahrhundert.
Und natürlich ist es immer die Geschichte Staßfurts als Wiege des Kalibergbaus, die im Mittelpunkt steht. „Bisher habe ich noch keinen direkten Schwerpunkt“, sagt Puhl. Er erzählt die Besiedlungsgeschichte, erzählt von Feldmarschall Tilly und dem 30-jährigen Krieg und zeigt das Haus in der unteren Steinstraße, in dem Heinrich Heine 1825 gewohnt hat. Er zeigt die Stelle, wo die Johannis-Kirche stand. Die wurde erst zum schiefen Turm, weil sie um mehr als zwei Meter aus dem Lot ragte, und dann in den 1960er Jahren abgerissen. „Staßfurt hat viel Potenzial. Man muss nur darüber reden“, sagt Puhl.
Jörg Puhl redet schnell. Ohne Punkt und Komma. Und ohne Pausen. Michael Scholl, Museumsleiter im Stadt- und Bergbaumuseum, lächelt, wenn er dem Stadtführer so zuhört. „Wir müssen das noch ein bisschen sortieren“, sagt Scholl und meint damit den Redefluss von Puhl. „Zu viele Zahlen erschlagen und gerade bei Kindern muss man die Zahlen weglassen.“ „Klar, logo“, meint Jörg Puhl und nickt. Er weiß es. Und kann doch manchmal nicht aus seiner Haut. Wie bringt man Kindern Geschichte bei? „Über Anekdoten, die Spaß machen“, so Scholl.
Dass einst eine Straßenbahn in Staßfurt über die Bode fuhr, findet zum Beispiel jedes Kind spannend. „Wir sind ein Staßfurter Heimatmuseum. Das müssen wir pflegen und wahren. Wir sind ein Haus für alle“, erklärt Michael Scholl. Dementsprechend gibt es auch eine breite Palette bei den Stadtführungen. Jede Gruppe ist anders, jede Gruppe muss anders angefasst werden. Der Stadtführer ist dann gefragt, diese zu begeistern. Zwischen 15 und 20 Führungen hat Jörg Puhl in Staßfurt bereits absolviert. „Er hat ein gutes Fundament“, lobt Scholl.
Die offizielle Bestätigung gab es dafür am 8. September. Da wurde Puhl von Oberbürgermeister Sven Wagner (SPD) offiziell mit Urkunde als Stadtführer berufen. „Eine Ehre. Ich bin froh und stolz, Stadtführer zu sein“, sagt Puhl.
Übrigens: Die Askanier waren vom 11. bis zum 14. Jahrhundert ganz groß, Albrecht der Bär ist 1170 gestorben und die Pestwelle gab es von 1681 bis 1683. Steht so in den historischen Schriften. Weiß aber eben auch alles Jörg Puhl auswendig.