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Integration Neuer Job, neues Leben, neues Glück

Für die Einstellung eines Flüchtlings wurde das Staßfurter Autohaus Helbig mit dem Integrationspreis Sachsen-Anhalt ausgezeichnet.

02.01.2017, 06:00

Staßfurt l „Wir haben als Unternehmen etwas ganz Normales gemacht - eine offene Lehrstelle besetzt“, sagt Matthias Helbig, Geschäftsführer vom Autohaus Helbig in Staßfurt über den Integrationspreis. Dass man damit in Sachsen-Anhalt die Ausnahme ist, stimmt ihn sogar ein wenig nachdenklich. Für ihn ist die Einstellung eines geflüchteten Syrers selbstverständlich. Im Handwerkskammerbezirk Magdeburg, der die nördliche Hälfte von Sachsen-Anhalt umfasst, gibt es derzeit nur eine Handvoll Ausbildungsverträge mit Geflüchteten.

Und dass obwohl der Großteil der Flüchtlinge bereits eine ganze Weile in Deutschland ist. „Wir haben alle einen Integrationsauftrag“, so Matthias Helbig. Eigentlich müsste die Einstellung von Geflüchteten an der Tagesordnung sein, findet er und verweist auf viele große Firmen, die dazu ebenso im Stande wären. „Wir wollten in dem Fall einfach nur helfen, damit wenigstens ein Geflüchteter in seinem Leben wieder eine Perspektive hat“, erklärt der Geschäftsführer. „Zugleich wollen wir aber auch einen Zeichen für andere Unternehmen setzen und zeigen: Es funktioniert!“

Geholfen wurde in diesem Fall Anees Alsamel. Der 36-jährige Syrer war während des Krieges aus seiner Heimat, zirka 50 Kilometer von Damaskus entfernt, als sein Wohnhaus zerstört wurde, nach Libyen und dann Ägypten geflohen. Dort hatte er sogar wieder Arbeit gefunden, erzählt er der Volksstimme. „Aber dann war wieder Krieg“, formuliert er. Er flüchtete mit seinen zwei Kindern und einer hochschwangeren Ehefrau nach Deutschland, wo zwei Tage nach der Ankunft in Halberstadt das dritte Kind zur Welt kam.

Mittlerweile wohnt die Familie in Staßfurt-Nord. Bei der Stadtverwaltung konnte Anees Alsamel von Februar bis August als Dolmetscher über den Bundesfreiwilligendienst angestellt werden. Als das Programm regulär nach einem halben Jahr auslief, bemühte sich Sylvia Götze als Migrationsbeauftragte der Stadt weiter für Anees Alsamel. Denn sein innigster Traum war es, eine feste Arbeitsstelle zu bekommen und seine Familie in Zukunft selbst ernähren zu können.

Sylvia Götze, die später auch den Vorschlag für den Integrationspreis einreichte und das Autohaus in der Sache von Anfang an begleitet, fragte dort einfach mal nach. Pfarrer Thomas Weigel, dem die Familie ebenfalls bekannt ist, hat in Gesprächen einen weiteren entscheidenden Anstoß gegeben. Das Autohaus Helbig, das noch zwei weitere Auszubildende und insgesamt 28 Mitarbeiter hat, war zu dem Zeitpunkt tatsächlich auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten für die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker, die dreieinhalb Jahre dauert. Und wie bei vielen anderen Unternehmen fiel es auch hier schwer, geeignete und motivierte Menschen zu finden.

„Wir haben von ihm einen Zettel bekommen, der als Lebenslauf durchgehen kann“, erinnert sich Thomas Helbig, Service- und Ausbildungsleiter des Autohauses. Es gab es eine Art Vorstellungsgespräch. Weder Zeugnisse oder Zertifikate noch Arbeitsbescheinigungen waren vorhanden. Anees Alsamel hatte nie eine Ausbildung absolviert, sondern immer nur gearbeitet, zuletzt als Fahrer. Nur das Zertifikat über den bestandenen Kurs bei der Urania, Führerschein und Aufenthaltsgenehmigung hatte er.

Dass man hier als Unternehmen unkonventionell agieren und auf solche Formalien kurzerhand verzichten muss, war für die Leitung des Autohauses schnell entschieden. Natürlich machte man sich Gedanken, in der Familie und im Team. Wie reagieren die Kunden? Was sagen Geschäftspartner? Rückt das Thema in den Fokus eventueller Verunglimpfungen oder gegebenenfalls Anschläge gegen das Autohaus?

Letztendlich überwog der Wunsch, der jungen Familie zu helfen. „Wir können nicht die Welt retten, aber wir können für einen Einzelnen etwas Gutes tun“, so Matthias Helbig.

Deshalb schreckte Thomas Helbig auch nicht vor der Bürokratie zurück, die dieser Fall forderte. Den Wunsch, seinen Wahlauszubildenden einstellen zu können, hat er energisch bei den Behörden vertreten. „Eigentlich werden alle Nachweise wie Zeugnisse und so weiter benötigt. Aber wenn auf mein Haus Bomben fallen, rette ich doch zuerst meine beiden Kinder und Frau, bevor ich meine Schulzeugnisse hole oder nicht?“, meint Thomas Helbig.

Durch den Mitarbeiter des Versorgungswerkes der Kreishandwerkerschaft Harz-Bode, Jürgen Hartenstein, und die „tadellose Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer Magdeburg“, so Thomas Helbig, wurde die Einstellung von Anees Alsamel schließlich möglich.

Am Ausbildungsbeginn, dem 1. September, hatte Anees Alsamel Tränen in den Augen - für ihn war das der erste Ausbildungsplatz überhaupt und die Chance auf einen echten Neuanfang.

Am Anfang war vor allem die Verständigung schwierig. Heute kann sich Anees Alsamel mitteilen und verstehen, wenn man langsam spricht. Er wird von einem erfahrenen Gesellen angeleitet: „Der Umgang mit dem technischen Deutsch ist immer noch schwierig“, erklärt Sebastian Puchta. „Da müssen Begriffe wie Park-Pilot-System erklärt werden.“

Einmal pro Woche kommt ein Lehrer ins Autohaus, der Anees Alsamel Nachhilfe in der Theorie gibt. Dieser wird durch EU-Fördermittel aus dem Landesprogramm „Assistierte Ausbildung“ finanziert, was von der Stiftung Evangelische Jugendhilfe St. Johannis Bernburg getragen und von der Handwerkskammer Magdeburg koordiniert wird. Und weil andere Kollegen Zeit für Raucherpausen bekommen, bekommt der Muslim eben Zeit zu beten.

Die Probezeit, ein Vierteljahr, ist heute erfolgreich bestanden. Im Team fühlt er sich aufgehoben. „Gute Kollegen“, kommentiert er. „Sehr glücklich“, sei er mit seiner neuen Arbeit. Auch die Helbigs sind voll zufrieden: Sie haben einen Auszubildenden, der hochmotiviert ist und die Chance hat, nach erfolgreich abgelegten Prüfungen als fester Mitarbeiter übernommen zu werden.