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Grundstücke Teures Wegerecht für Vertrautes

Die Stadt Staßfurt klärt ihre Grundstücksfragen. Das kann auch dazu führen, dass Bürger nach und nach zur Kasse gebeten werden.

11.10.2016, 15:39

Atzendorf l Irena und Wolfgang Schütz trauen ihren Augen nicht. Im Sommer flattert dem Paar aus der Atzendorfer Lenzstraße ein Brief der Stadt Staßfurt ins Haus. Darin informiert die Verwaltung, dass sie eine sogenannte Eintragung einer Grunddienstbarkeit in das Grundbuch veranlassen will. Dieser Eintrag bezieht sich auf den Bereich der Straßen-Einfahrt vor dem Grundstück des Hauses. Sprich: Das Wege- und Nutzungsrecht soll eingeräumt werden. Ein entsprechender Vertrag ist gleich an das Schreiben dran gehängt.

Das Rathaus weist darauf hin, dass man das Einverständnis der Schützens benötige und dass für den Grundbuchvermerk 72,80 Euro - errechnet anhand der Größe der benannten Fläche - zu zahlen sind. „Kaum zu glauben“, sagt Wolfgang Schütz. Grünes Licht gibt der Atzendorfer nicht. Er und seine Frau informieren sich, lassen sich rechtlich beraten. Das gesamte Verfahren kann teurer werden, darauf weist auch die Stadt im Schreiben hin. Denn privat sind weitere Notar- und Behördenkosten zu zahlen, damit alles geregelt wird. „So wie wir gerechnet haben, kommen wir auf eine Summe zwischen 500 und 1000 Euro“, sagt Irena Schütz. Das Paar geht in Widerspruch.

Die Volksstimme fragt bei der Staßfurter Stadtverwaltung nach: Offiziell gibt die Pressestelle im Rathaus eine äußerst bürokratische Antwort. Am liebsten will man das eigene Schreiben auch so abgedruckt wissen. Doch echte Klarheit erhält der Laie nicht.

Die Nachfrage in Verwaltungskreisen hellt auf: Was in Atzendorf passiert, kann in den nächsten Monaten auf viele Staßfurter in der Kernstadt und in den Orsteilen zukommen. Altes DDR-Gewohnheitsrecht, Sanierung von öffentlichen Räumen ab den 1990er Jahren, Veränderungen von Wegeführungen spielen dabei ineinander. „Die Stadt Staßfurt beabsichtigt, Rechtsverhältnisse von Grundstücken zu bereinigen, die die Nutzung von kommunalen Grundstücken ohne Pachtvertrag oder die rechtliche Sicherung von Grundstückszufahrten über kommunale Grundstücke bis zur öffentlichen Straße zum Gegenstand haben“, heißt es in der offiziellen Antwort aus dem Rathaus. Im Fall von Atzendorf lässt sich das beispielhaft darstellen: Vor dem Grundstück samt Haus des Ehepaares Schütz liegen einige Quadratmeter unbefestige Fläche. Wie in der gesamten Lenzstraße und auch in vielen anderen Dörfern. Früher verlief hier der Graben für die Straßenentwässerung. Nach der Wende wurde der Graben verfüllt. Er war überflüssig. Denn die neue und grundhaft ausgebaute Fahrbahn wird über Kanäle entwässert. Die Stadt hat mit dem Areal ein Grundstück, dass keine öffentliche Widmung hat. Gewissermaßen ein Privatgrundstück. Das aber nutzen die Anlieger, um auf ihren eigenen Grund zu kommen.

Die Stadt will das jetzt geregelt wissen. Zum einen geht es um Rechtssicherheit, zum anderen muss sie für ihre Haushaltsführung ihr Vermögen darstellen. Also auch ihr Eigentum an Grund und Boden. Deshalb gibt es jetzt die systematische Erfassung aller Grundstücke. A eröffnet das Alphabet, so geht es in Atzendorf los. In der Erklärung des Rathauses heißt es: „Für die privaten Grundstückseigentümer von Grundstücken, die ein Recht zur Nutzung von kommunalem Eigentum zur Benutzung ihres eigenen Grundstückes noch nicht geregelt haben, ist die Schaffung von rechtssicheren Verhältnissen von Wege- oder Überfahrtsrechten von grundsätzlicher Bedeutung in Hinblick auf die Bewertung des Grundstückes oder bei der Veräußerung des Grundstückes.“

Die Stadt schlägt alle denkbaren Varianten vor, wie das Wege- und Nutzungsrecht geklärt werden kann: Verkauf, Verpachtung oder eben die Eintragung der Grundbuchdienstbarkeit. Die betroffenen Bürger könnten frei entscheiden. Die eingetragene Grundbuchdienstbarkeit erachtet die Verwaltung aber als bürgerfreundlichste Variante. Denn es entstehen einmalige Kosten, immer orientiert an der Größe der individuellen Flächen. Pacht müsste über viele Jahre immer wieder bezahlt werden. Und der Kauf der relativ kleinen Flächen durch die Bürger wäre für sie immer mit hohen Vermessungskosten verbunden. Eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Offiziell klingt das so: „Diese rechtliche Sicherung soll durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit im Grundbuch erfolgen. Das bedeutet, dass die Stadt Staßfurt als Eigentümerin des dienenden Grundstückes dem Grundstückseigentümern der angrenzenden, betroffenen Grundstücke ein Geh-, Fahr- sowie Leitungsrecht einräumt. Gleichermaßen könnten damit die Rechte zur Nutzung, Verlegung und Belassung von Ver- und Entsorgungsleitungen, insbesondere Strom, Gas, Wasser, Abwasser und Telefon geregelt werden. Der begünstigte Eigentümer ist letztendlich für die Instandhaltung, Instandsetzung und die Verkehrssicherungspflicht dieser Fläche verantwortlich. Die Eintragung der Grunddienstbarkeit erfolgt notariell und steht damit dauerhaft im Grundbuch. Damit sind die Rechtsverhältnisse auch im Falle eines Grundstücksverkaufs oder beabsichtigten Bauantrages dauerhaft geregelt. Insofern sind auch alle mit dieser Eintragung verbundenen Kosten durch den Eigentümer des begünstigten Grundstückes zu tragen.“

Das können Wolfgang und Irena Schütz nicht einsehen. „39 Jahre lang haben wir die Fläche mit gepflegt und bei Regen entwässert. Da hat keiner von der Stadt sich dafür interessiert, dass es nicht unser eigenes Grundstück ist. Sollen wir auch eine Rechnung schreiben?“ Die Stadt sagt, dass sie genau aus diesem Grund jetzt Klarheit schaffen müsse und dass das Wegerecht verpflichte. Mehr noch: Das Rathaus argumentiert, dass das eigene Grundstück durch die Nutzung der Anlieger an Wert verliere und diese Wertminderung auch einmalig von den Nutzern bezahlt werden müsse. Das ist für das Atzendorfer Paar zu viel des Guten. Sie wehren sich gegen den Bescheid. Der Ausgang ist offen. In den kommenden Wochen allerdings werden weitere Briefe der Verwaltung Bürger erreichen, damit ein Wegerecht geklärt wird. Da ist sicherlich viel Unmut vorprogrammiert.