Kulturtage Woher kommt die Angst?

Drei Tage lang wurde im Schloss Hohenerxleben diskutiert. Bei den 23. Hohenerxlebener Kulturtagen drehte sich alles um 30 Jahre Wende.

13.06.2019, 04:00

Hohenerxleben l Der Tabubruch war ausnahmsweise gut und richtig, da er zeigte, wie bedeutend das Thema ist. Heinrich Dieter Funke aus dem Vorstand der Stiftung Schloss Hohenerxleben plauderte aus dem Nähkästchen und gab Einblicke in die Vorbereitung auf die Kulturtage, die am vergangenen Wochenende stattgefunden haben. „Beim Frühstück wurden Gedichte gelesen und beim Mittagessen Bücher“, so Funke. „Das sind sonst Tabus.“ Weil das Thema „30 Jahre Wende“ aber eben fesselte, wurden die Fesseln der Tischmanieren gelockert. Drei Tage lang stellten die Mitglieder des Ensemble Theatrums rund um die Themen DDR, 30 Jahre Wende und deutsch-deutsche Geschichte von 1945 bis in die Gegenwart ein Programm auf, das anlässlich des Novembers 2019 noch weiter an Fahrt gewinnen wird.

Für den Sonnabend hatten die Hohenerxlebener das Magdeburger Theologen-Ehepaar Andreas und Gabriele Herbst ins Schloss eingeladen. In Magdeburg hatten die beiden Anteil an der friedlichen Revolution 1989 an der Elbe, bis heute engagieren sich die Herbsts für soziales Engagement, Bürgerbeteiligung, Weltoffenheit, Toleranz und Demokratie. Dafür gab es 2017 auch den Adelheid-Preis. Mit Moderatorin Friederike von Krosigk entwickelte sich schnell bei der Podiumsdiskussion eine generelle Debatte darüber, wieviel DDR noch in der heutigen Gesellschaft steckt, was hängen geblieben ist vom Mauerfall 1989 oder auch, warum sich die heutige Gesellschaft so entwickelt hat, wie sie heute ist. „Ich dachte, wir hätten den Rassenhass überwunden“, sagte Gabriele Herbst frei heraus. Weil die Herbsts aber gesellschaftliches Potential bei der Integration sehen, gründeten sie beispielsweise 1994 ein Migrationscafé. Später entwickelten sich in der Landeshauptstadt immer mehr Begegnungszentren für allerlei Kulturen. „Woher kommt die Angst?“, fragte Hubertus von Krosigk ganz allgemein in die Runde. Soziale Ausgrenzungen hätten zugenommen, diese zu bekämpfen sei die Aufgabe aller. „Das sollte man aber nicht auf die DDR schieben. Es gab sozialen Neid, weil Biografien nach der Wende nicht anerkannt wurden“, sagte dazu Karl-Heinz Klix aus Staßfurt.

„Nach der Wende ist manches sehr falsch gelaufen“, meinte Gabriele Herbst. Auch sie berichtet davon, dass Biografien abgebrochen sind, dass der Rassismus aufgebrochen ist und dass es vor allem im Jahr 2019 noch immer große kulturelle Unterschiede zwischen deutschen Bürgern aus Neuen und Alten Bundesländern gibt. Die Probleme haben dabei schon 1989 angefangen. „Die DDR ist nie ernst genommen worden, wir hatten nicht genug Zeit, darüber nachzudenken“, so Andreas Herbst. „Nicht alles ist faul und marode gewesen in der DDR.“ Das fehlende Gespräch zwischen Ost und West hätte aber dazu geführt, dass die Schwierigkeiten auch heute noch brandaktuell sind. Noch mehr als in den Alten Bundesländern sind Volksparteien in den Neuen Bundesländern daher ins Rutschen geraten. „Ist das Kind schon in den Brunnen gefallen?“, fragte Friederike von Krosigk bewusst provokant.

Sicher nicht. Aber: „Europa ist so klein geworden, Afrika und Asien expandieren. Wir können die Probleme nur gemeinsam lösen“, so Gabriele Herbst, die sich auch in Generalkritik übt. „Der Kapitalismus darf dabei nicht so ausbeuterisch sein. Er hat keine wärmenden Werte, Freiheit kann nicht uferlos sein.“

Ihr Mann nahm diesen Ball auf. „Ständiges Wachstum ist eine ganz dumme Ideologie. Wir müssen den inneren Menschen aufbauen und sozialer denken.“ Religion und Kunst gingen dabei Hand in Hand. So wurde die Diskussion immer wieder unterbrochen. Mal stand Hubertus von Krosigk auf, um ein selbst komponiertes Lied vorzutragen. Gedichte wurden referiert, in gemeinschaftlicher Runde wurde „Die Gedanken sind frei“ geträllert.

Und noch künstlerischer ging es dann am Sonntag und Montag zu. Mehr als 60 Stühle waren am Sonntag aufgestellt, als die Ensemble-Mitglieder zu einer szenischen Lesung zu Texten von Christa Wolf oder Friedrich Schorlemmer einluden. Es wurde dabei weniger gelesen und viel mehr geschauspielert. Und kein Sitz blieb frei. Auch der Oberbürgermeister Sven Wagner (SPD) war vor Ort. „Die Besucherzahlen sind schön, wir sind sehr zufrieden“, sagte Friederike von Krosigk. „Wir haben durchweg positive Rückmeldungen bekommen. Wichtig war uns auch, dass alle gehört und gesehen wurden, dass sich keiner ausgegrenzt fühlt.“

Das war nicht der Fall. Im Gegenteil: Die szenische Lesung, die mehr einem Schauspiel glich und als Premiere gut ankam, öffnete die Türen für weitere Projekte. „Es gab Anfragen, ob wir nicht auch im Magdeburger Dom oder im Landtag unser Stück anlässlich von 30 Jahre Wende aufführen könnten“, so von Krosigk. Und auch Sven Wagner klopfte bei den Künstlern an und fragte lose nach, ob es möglich sei, dass das Ensemble Theatrum auch in Staßfurt sein Stück aufführt im Rahmen von Festtagen zum Wendejubiläum der Salzstadt. „Das würden wir natürlich sehr gern machen“, sagte von Krosigk.

Am Montag bei der Ausstellungseröffnung „Farbenspiele“ von den Künstlern Nikoline F. Kruse und Janette Zieger wurden nicht nur Kunstwerke aus den Malseminaren gezeigt. „Es entwickelte sich auch erneut ein sehr schönes Gespräch über die Wendezeit“, berichtete von Krosigk. Zu Gast war am Pfingstmontag auch Waltraut Zachhuber, evangelische Pfarrerin aus Magdeburg. „Die meinte zu uns, wir hätten damit den Ball angestoßen“, so von Krosigk.

Fest steht schon jetzt, dass die Künstler vom Gewandhaus Leipzig, das 1989 eine wichtige Rolle bei den Protesten in Leipzig spielte, im November 2019 nach Hohenerxleben kommen werden. In einer gemeinsamen Veranstaltung soll der Zeitenwende 1989 gedacht werden. „Für uns war die szenische Lesung am Sonntag eine Zwischenpräsentation“, meinte Friederike von Krosigk. Mehr geht immer. Vielleicht war es erst der Anfang zur neu erfundenen und neu aufgewickelten Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte. Die Mitglieder des Ensemble Theatrums am Schloss Hohenerxleben wären gern ein Teil davon.