1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Beim Arbeitgeber 115 000 Euro abgezweigt

28 Untreuefälle Beim Arbeitgeber 115 000 Euro abgezweigt

Eine Verwaltungsangestellte eines Sozialträgers im Landkreis Stendal wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Von Wolfgang Biermann 10.11.2016, 23:01

Stendal l Das Amtsgericht Stendal hat am Dienstag eine bislang nicht vorbestrafte Mittvierzigerin wegen gewerbsmäßiger Untreue in 28 Fällen zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Thomas Schulz setzte die Freiheitsstrafe für drei Jahre zur Bewährung aus.

Die Richter sahen es nach dem unter Tränen von der Angeklagten vorgebrachten Geständnis als erwiesen an, dass die kaufmännische Mitarbeiterin eines Sozialträgers in einem Ort im Landkreis, in dessen Häusern Menschen in Wohnprojekten leben, im Laufe von fast drei Jahren insgesamt 115  000 Euro aus der Kasse entnommen und für das Bestreiten ihres Lebensunterhaltes verwendet hat. Das Geld stammte vom Sozialamt und sollte sowohl den Wohngruppenmitgliedern als Taschen- und Kleidergeld oder sonstige Barhilfe ausgezahlt werden als auch Vergütung für den Träger selbst sein.

Als Eigenverantwortliche der Barkasse der Einrichtung zweigte die Angeklagte von den vom Sozialamt überwiesenen und vom Geschäftsführer allmonatlich in bar bei einer Bank abgehobenen Beträgen jeweils einen Teil ab, um ihn für sich zu verbrauchen. Gezählt worden sei bei der Geldübergabe nie, man habe einander vertraut. Quittungen gab es auch keine, so die Angeklagte.

„Wofür haben Sie das Geld verwendet?“, wollte Richter Schulz wissen. „Ich kann es mir nicht erklären, wir haben ganz normal gelebt, nur ein paar kleine Kredite laufen gehabt“, antwortete die Angeklagte. „Irgendwo muss das Geld doch geblieben sein, beispielsweise 12  000 Euro allein in einem Monat?“, hakte der Staatsanwalt nach. Hilfloses Achselzucken war die Antwort. Sie selber verfügte über ein Nettoeinkommen von 900 bis 1300 Euro, der Ehemann war im Tatzeitraum arbeitslos. Kreditraten für Küche und ein Auto seien zu bedienen gewesen, sagte die Angeklagte. „Kein teures Outfit, keine Reisen, nichts.“

Von Januar 2010 bis September 2012 handelte es sich in 28 Fällen um monatliche Summen in Höhe von 1000 bis fast 12  000 Euro. Bei keiner Kassenprüfung fiel das in den drei Jahren auf, weil die Angeklagte das elektronische Buchungssystem geschickt umging beziehungsweise die Nachweise schriftlich frisierte. Aufgefallen war es letzlich wohl nur, weil sie beim Kopieren von Nachweisblättern das Datum an die falsche Stelle im Formular gesetzt hatte.

Einen genauen Überblick hätte sie nicht mehr gehabt und sei erschrocken über die von der Staatsanwaltschaft in der Anklage genannte Gesamthöhe, gab sie an. Mit bis zu 40  000 Euro hätte sie insgesamt gerechnet, gestand die 115  000 Euro aber ein.

Sie wolle „reinen Tisch machen“, das rechnete ihr Richter Schulz strafmildernd an. Ebenso, dass man ihr die Straftat „relativ leicht gemacht“ habe. Nach einem zwischenzeitlich rechtskräftigen Urteil in einem parallel geführten Arbeitsgerichtsprozess, den ihr Arbeitgeber gegen sie angestrengt hatte, muss sie 110  000 Euro an ihn zurückzahlen. 5000 Euro hatte sie zuvor schon freiwillig gezahlt. Zusammen mit ihrem Ehemann befindet sie sich in Privatinsolvenz, die 110  000 Euro muss sie trotzdem begleichen. Ein Schuldenberg, den sie wohl bis zu ihrem Lebensende nicht abgetragen haben wird, wie Richter Schulz anmerkte. Monatliche Raten von 200 Euro ist sie bereit zu zahlen, obwohl sie derzeit, in neuer Arbeit stehend, nur 800 Euro netto hat. Ihr Ex-Arbeitgeber habe das Ratenzahlangebot aber abgelehnt, sagte die Verteidigerin. Was nun wird, sei offen. Das Urteil nahm sie sofort an.

Ein Nachspiel könnte das Ganze noch haben, nicht für die Angeklagte, so sie am Dienstag die Wahrheit gesagt hat, aber möglicherweise für einen Rechtsanwalt, der im Arbeitsgerichtsprozess laut Richter Schulz offenbar falsche Angaben gemacht hat und gegen den deshalb von der Staatsanwaltschaft wegen Prozessbetruges ermittelt werden könnte.