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Abfallwirtschaft Behörden sehen keine Probleme

In einer einstigen Gülleanlage bei Polte wird der gesamte Biomüll des Landkreises Stendal gelagert - unter zweifelhaften Umständen.

Von Bernd-Volker Brahms 24.05.2019, 13:25

Polte l Hunderte Kolkraben krächzen über der einstigen Gülleaufbereitungsanlage bei Polte. Die riesigen Biomüllberge, die hier zu Kompost verarbeitet werden sollen, sind für die Vögel das Schlaraffenland schlechthin. Hier finden sie, für sich frei zugänglich, all dass, was die Bevölkerung des Landkreises Stendal in ihren braunen Tonnen entsorgt: Küchenabfälle und Essensreste. Auch das ein oder andere illegal entsorgte verstorbene Kleintier lassen sich Krähenvögel munden, wovon Knochen in Anlagennähe zeugen.

Die intelligenten Tiere, bis zu 1,3 Kilogramm schwer mit einer Flügelspannweite bis zu 130 Zentimeter, schlemmen nämlich nicht nur vor Ort, sondern auch im nahe gelegenem Wald. Und da Biomüll entgegen der Vorschrift eben doch häufig in Plastikbeuteln entsorgt wird, geben die Menschen den Vögeln gleich noch die „Tragetaschen“ mit, was zur massenweisen Ansammlung von Plastikmüll in der Umgebung der Anlage führt. Ende April/Anfang Mai war die Verschmutzung in der Nähe des Betriebsgeländes teilweise so extrem, dass man mit dem Plastikmüll von wenigen Quadratmetern hätte einen gelben Sack füllen können.

Bereits im November 2018 gingen Mitarbeiter des Landesverwaltungsamtes mit Sitz in Halle entsprechenden Hinweisen nach, augenscheinlich aber nicht besonders gründlich. Im Schreiben vom 28. November 2018 teilte das zuständige Referat einem benachbarten Landwirt nämlich mit: „Vor Ort auf der Anlage wurde festgestellt, dass leichte Verwehungen auf dem Anlagengelände vorherrschen. Dazu wurde die Betreiberin aufgefordert, diese regelmäßig zu reinigen und dies im Betriebstagebuch zu vermerken.“

Betreiber der Anlage ist die Firma Wiese Umwelt Service GmbH mit Hauptsitz in Großkayna (Saalekreis). Fragen der Volksstimme zur Qualität des Bioabfalls und zur Verunreinigung der Nachbargrundstücke wollte die Geschäftsführung nicht beantworten.

Das Magdeburger Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft beruft sich nach Volksstimmeanfrage auf die Anlagenkontrolle am 13. November durch das Landesverwaltungsamt, dies sei die bisher letzte Kontrolle gewesen: „Auf dem Anlagengelände wurden Verunreinigungen durch Verwehungen (hauptsächlich Kunststofffolien) im Bereich der Miete und im Bereich der Umzäunung festgestellt, welche umgehend beseitigt wurden.“ Rund fünf Monate später ist von dieser „Beseitigung“ allerdings nichts mehr erkennbar.

Die Umweltverschmutzung ist die eine, sicherlich unschöne Seite. Gefährlich wird es aber, wenn die Gesundheit von Tier und Mensch auf dem Spiel steht. Wird anderswo mit Blick auf die drohende Einschleppung der Afrikanischen Schweinepest darum gebeten, Essensreste nicht achtlos in der Natur zu entsorgen, werden sie hier in Polte tausend-tonnenweise unter freiem Himmel gelagert. Nicht nur die Krähen haben problemlosen Zugang zu eventuellen Keimpotentialen der unterschiedlichsten Art. Die grobmaschige Umzäunung stellt auch für Schadnager kein Hindernis dar und weil der Draht stellenweise kaputt oder heruntergedrückt ist, werden auch Wildscheine an die Festtafel geladen.

Seit 1996 wird diese Kompostieranlage in Polte betrieben, wie der Landkreis mitteilt. Im vergangenen Jahr wurden dort nach Kreisangaben 16 945,26 Tonnen angeliefert. Auch die Stadt Magdeburg hat in den Jahren 2016 und 2017 jeweils 9800 Tonnen Bioabfall dort entsorgt. Warum danach keine Entsorgung mehr dort stattfand, wollte die Stadtverwaltung nicht explizit beantworten und verwies auf entsprechende Ausschreibungen. Unter der Hand wird gesagt, dass dort befürchtet wurde, dass die Stadt möglicherweise in die Pflicht genommen wird, wenn die Anlage aufgelöst werden muss.

Mit einer Durchsatzkapazität von jährlich 29 900 Tonnen Bioabfall gehört die Anlage zu einer der größten in Sachsen-Anhalt. Nach Angaben des Umweltministeriums in Magdeburg gelten für die Kompostierungsanlage die bestehenden Genehmigungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz sowie das geltende Recht. Der Fertigkompost sei qualitätsgesichert mit dem RAL Gütezeichen Kompost, welches von der Bundesgütegemeinschaft Kompost vergeben wird. Weiterhin ist der Betrieb gemäß Entsorgungs-Fachbetriebs-Verordnung zertifiziert, so dass Ministerium. Die Kontrolle obliege in den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen dem Landesverwaltungsamt, dem Landesamt für Verbraucherschutz sowie dem Landkreis Stendal.

Während in jedem Landwirtschaftsbetrieb die Mistplatten regelmäßig von strengen Behörden auf ihre Undurchlässigkeit hin überprüft werden, scheinen den Mitarbeitern des Landesverwaltungsamtes bei ihrer Vor-Ort-Besichtigung im November die Missstände in Polte nicht sonderlich aufgefallen zu sein. Der alte Betonboden ist teilweise extrem rissig und löchrig. Gemeinsam mit dem Regenwasser gelangt die Jauche aus dem Biomüll eines kompletten Landkreises nahe der Elbe in das Grundwasser.

Dabei hätten die Prüfer gerade in diesem Punkt die Augen offen haben müssen. Denn in einem der Volksstimme vorliegendem Überwachungsbericht, bereits vom 27. März 2017, bemängelt eben dieses Landesverwaltungsamt eine „Zwischenlagerung von Kompost auf nicht genehmigter Lagerfläche“ und ordnete an, dass die Ablagerungen zu beräumen seien.

Nach Angaben des Landkreises erfolgen regelmäßig Proben, die in entsprechenden Laboren untersucht werden. Der Einsatz des Kompostes sei „bei Einhaltung der abfallrechtlichen Anforderungen“ vielfältig. So werde dieser in der Landwirtschaft, im Garten- und Landschaftsbau sowie bei der Herstellung von Oberbodenersatz verwendet. Fremd- und Störstoffe würden „ordnungsgemäß einer dafür zugelassenen Anlage angedient“, heißt es vom Landkreis. Die Bioabfälle würden in einer nach dem Bundesimmisionsschutzrecht genehmigten Abfallbehandlungsanlage einer aeroben hygienisierenden Behandlung unterzogen.

Genutzt wird eine ehemalige Gülleaufbereitungsanlage, die in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts gebaut wurde. Über kilometerlange Leitungen wurde die Gülle von über 50 000 Schweinen aus der Sauenaufzuchtanlage in Sandbeiendorf (heute Bördekreis) nach Polte gepumpt, um dort mit Elbewasser vermischt zu werden. Dieses Substrat wurde anschließend in den umliegenden Gemarkungen verregnet.

Seit dieser Zeit scheint es keine nennenswerten baulichen Investitionen gegeben zu haben. Nicht nur der Zaun, augenscheinlich zu DDR-Zeiten errichtet, ist marode, auch das Lagerbecken selbst.