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Babysimulator Noah, Bella und Louis sind da

Für vier Tage werden aus Stendaler Schülerinnen junge Mütter. Sie sind für ein Baby verantwortlich - ohne eines geboren zu haben.

Von Anne Toss 20.07.2016, 01:01

Stendal l Während Alina (14) ihren Louis in einer Babyschale sanft hin- und herschaukelt und Jasmin (16) den schlafenden Noah betrachtet, ist Michelle (16) bereits gefordert: Bella hat Hunger, möchte auf den Arm genommen und kurz darauf auch gewickelt werden. Das alles teilt sie ihrer Mutter durch Quengeln und auch durch gelegentliches Schreien mit. So, wie es ein richtiges Baby eben auch tut.

In diesem Fall handelt es sich bei Bella, Louis und Noah allerdings um Babysimulatoren – computergesteuerte Puppen –, die so programmiert sind, dass sie eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung benötigen. „Die Schülerinnen sollen wirklichkeitsnah erleben, was es heißt, ein Kind zu haben“, sagt Birgit Grosser-Schumann, Schulsozialarbeiterin an der Pestalozzischule Stendal, „denn dass ein Baby vor allem Verantwortung bedeutet, kann ich im Unterricht zehnmal erzählen und die Schüler vergessen es wieder“. Mithilfe der Simulatoren, die vom Diakoniewerk Osterburg für rund 2000 Euro pro Stück angeschafft wurden, soll sich das nun ändern.

Sobald eines der Babys anfängt zu weinen, halten die Mädchen einen ID-Chip, den sie als Armband um ihr Handgelenk tragen, an den entsprechenden Sensor, der an dem Baby angebracht ist. Ein Klingeln signalisiert, dass der Sensor die Nähe der Mutter registriert hat. „Ab da haben sie zwei Minuten Zeit herauszufinden, was das Kind will. Passiert innerhalb der Zeitspanne nichts, wird das als Vernachlässigung registriert“, erklärt Grosser-Schumann. Und die Neugeborenen fordern so einiges: Füttern, Windel wechseln, Aufstoßen, im Arm wiegen – das alles müssen die Schülerinnen erkennen und dementsprechend darauf reagieren.

„Das Projekt soll keinesfalls eine abschreckende Wirkung haben, so dass die Mädchen sagen: ‚Oh Gott, ich will nie ein Kind‘“, merkt Grosser-Schumann an. Es solle zeigen, dass das Mutter-Sein nicht nur toll ist, sondern auch eine wahnsinnige Verantwortung – „man hat weniger Freizeit, die eigenen Bedürfnisse müssen hinten angestellt werden“.

Und das merken Michelle, Alina und Jasmin recht schnell. „Eigentlich wollte ich gerade etwas trinken“, sagt Michelle, als sich ihr Baby bemerkbar macht und ihre Aufmerksamkeit fordert. Die 16-Jährige hat im vergangenen Jahr bereits an dem Projekt teilgenommen, „da hat der Simulator aber nicht richtig funktioniert, es hat nicht geschrien“. Deshalb ist Michelle erneut dabei. „Zuhause habe ich mein Bett schon vorbereitet, ich werde neben dem Baby schlafen“, sagt Michelle.

Alina und Jasmin haben sich beide aus Interesse für das Projekt gemeldet. „Ich wollte es einfach ausprobieren. Vielleicht will ich mal Kinder, vielleicht auch nicht – ich bin mir noch nicht sicher“, sagt Jasmin. Auch Alina wollte wissen, wie es denn jetzt ist, das Mutter-Sein: „Es ist ein komisches Gefühl, aber es geht“, sagt die 14-Jährige und lacht.

Während der vier Tage sind die Schulsozialarbeiterinnen immer per Handy für die Mädchen erreichbar. Neben Birgit Grosser-Schumann betreuen Anna Richter (Diesterwegschule) und Michelle Tschapke (Sekundarschule Goldbeck) das Projekt. Sie haben auch ein kleines Programm für die Schülerinnen vorbereitet: „Am Mittwoch besuchen wir gemeinsam den Kreißsaal im Krankenhaus und gehen dann durch die Einkaufsstraße, um herauszufinden, wie viel Geld für ein Baby ausgegeben werden muss“, berichtet Anna Richter. Am Donnerstag seien die Mädchen mit ihren Babys allein, die Sozialarbeiter statten lediglich einen Hausbesuch ab, ehe dann am Freitag die Auswertung erfolgt.

Birgit Grosser-Schumann und Anna Richter – beide Mütter – bestätigen, dass die Simulation nah an die Realität herankommt. „Natürlich gibt die Puppe keine Liebe zurück, aber in ihren Bedürfnissen ähnelt sie einem Neugeborenen sehr“, so Grosser-Schumann. Anna Richter erinnert sich noch gut an die Teilnehmerinnen des vergangenen Jahres, die mit Augenringen zum Treffen erschienen: „Die waren echt fertig, hatten nicht geschlafen. Das konnten die sich vorher überhaupt nicht vorstellen“, sagt Richter.

Falls es in den kommenden Tagen überhaupt nicht funktioniert, gibt es immer noch einen Notknopf, mit dem sich der Simulator abschalten lässt. „Überforderung gehört dazu – wie im normalen Leben eben auch“, so Grosser-Schumann.