Chor-Jubiläum Der doppelte Dirigent

Das Altmark-Ensemble Stendal wird 65 und probt fürs Jubiläumskonzert. Ungewöhnlich: Es gibt zwei Dirigenten.

Von Nora Knappe 11.04.2018, 01:01

Stendal l Das wird den Schönhausern seltsam vorkommen: Ihren Chor gibt er ab, einen anderen übernimmt er. Gero Wiest steckt in einem Gewissenskonflikt, aber er will auch zu seinem Wort stehen. Denn kurz bevor der bis dahin freiberufliche Musiker eine feste Zusage für eine Stelle als Musiklehrer in Wittenberge bekam, hatte er wiederum jemandem zugesagt: nämlich dem Altmark-Ensemble Stendal, dessen neuer Leiter zu werden. Bei dieser Zusage will er auch bleiben, zumal Chor und Instrumentalisten schon im Januar angefangen haben, mit Wiest gemeinsam für das Jubiläumskonzert am 5. Mai zu proben.

Das Konzert zum 65-jährigen Bestehen des Ensembles soll auch die Übergabe des Taktstocks markieren: Sebastian Weidenhagen, der seit 2009 Leiter ist, wohnt in Halle, nahm lange Zeit die weite Fahrt zu den Proben in Stendal auf sich. Jetzt macht er sich in Halle selbstständig. Und freut sich, dass es einen nahtlosen Übergang geben wird.

Denn er und sein Nachfolger teilen sich seit Jahresbeginn nicht nur die Proben, sondern werden beim Jubiläumskonzert gemeinsam auftreten. Nicht gleichzeitig am Dirigentenpult, aber abwechselnd. Für die Sänger und Instrumentalisten ist das schon jetzt eine große Herausforderung, schließlich hat jeder Dirigent seinen eigenen Stil, legt auf anderes Wert. „Da muss man sich erst einmal dran gewöhnen“, sagt Vereinsvorsitzende Gabriele Stieding, für die es der fünfte Chorleiter sein wird, seit sie dem Ensemble angehört.

Der 33-jährige Weidenhagen verlässt das Altmark-Ensemble durchaus mit einer Portion Wehmut. „Der Klangkörper ist mir sehr ans Herz gewachsen, wir haben über die Jahre gut zueinander gefunden, haben uns weiterentwickelt.“ Das große Plus des Chores, das Weidenhagen gern gepflegt hat: Es wird auswendig gesungen. Großer Schwachpunkt hingegen, wie bei so vielen Laien-Chören: die deutliche Aussprache. „Textdeutlichkeit und Verständlichkeit sind Dinge, an denen man immer arbeiten muss, weil der altmärkische Dialekt stark durchkommt.“ Das wird also eine Aufgabe auch für Weidenhagens Nachfolger sein.

Für Gero Wiest, der in Tangermünde lebt, ist das Altmark-Ensemble keine unbekannte Größe, hat er doch bereits des Öfteren Titel arrangiert. Genau diese Mischung macht für den 41-Jährigen auch den Reiz aus, neuer künstlerischer Leiter zu werden: „Wo hat man das schon, einen Chor mit eigener Instrumentalgruppe? Da kann man musikalisch ganz andere Sachen machen.“

Was nicht heißen soll, dass er alles umkrempeln will. Aber er möchte „ein paar andere Repertoire-Schwerpunkte setzen, noch mehr in die Moderne“, zu Weihnachten wiederum mehr Geistliches. Und er freut sich darauf, mit dem Altmark-Ensemble Volkslieder von Brahms einzustudieren. Lieder quer durch die Jahrhunderte sind es, die sein erstes eigenes Programm unter dem Titel „Beziehungsweisen“ im nächsten Jahr kennzeichnen werden. Da werden dann auch Ufa-Filmschlager zu hören sein – ein bestens geeignetes Spielfeld für die Instrumentalgruppe, die Wiest dafür schon mit Freuden fest eingeplant hat.

Dass die Ensemblemitglieder nun auch weiterhin ihren Probentag einplanen können, sorgt für Erleichterung und Vorfreude. Denn der Chor, so sagt es Vereinsvorsitzende Gabriele Stieding (56), sei für sie „wie ein Fels in der Brandung, er ist immer da. Das Singen hilft, das Leben zu bewältigen. Musik ist Emotion.“

Genauso empfindet es Gustav Voß, zweiter Vorsitzender. Der 72-Jährige ist schon seit 1980 dabei, für ihn ist das Singen im Chor „Labsal für Herz und Seele“. Das Gefühl, bei Konzerten die Leute im Publikum durch die eigene Begeisterung mitzureißen, sei unbeschreiblich, ergreifend.

Nicht zuletzt sei so ein Chor eine schöne Gemeinschaft, wie Sylvia Thieme findet, die im Sopran singt und im Vorstand als Schriftführerin fungiert. „Es herrscht eine große Offenheit“, sagt die 32-Jährige, die seit einem Jahr dabei ist und sich gut aufgenommen fühlt. Das Repertoire von mittelalterlichen bis hin zu modernen Liedern habe sie überzeugt, genau wie die Lebhaftigkeit des Ensembles – trotz seiner 65 Jahre.