1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Theater der Altmark improvisiert

Corona-Stillstand Theater der Altmark improvisiert

Erst Umzug, jetzt Corona-Stillstand: Intendant des Theaters der Altmark in Stendal, Wolf E. Rahlfs, sieht in der Krise auch Potenzial.

Von Nora Knappe 08.04.2020, 11:00

Stendal | Als ob ein Ausnahmezustand nicht reicht, schlittert das Theater der Altmark gleich in den nächsten: Kaum war der sanierungsbedingte Umzug erfolgt, stand der Betrieb wegen Corona still. Im ganzen Theater? Nein, nicht im ganzen..., wie Intendant Wolf E. Rahlfs ausführlich erläutert.

In welchen Bereichen des TdA wird jetzt in welcher Form gearbeitet und welche Formen der veränderten Arbeit praktizieren Sie im Hause?
Die vorübergehende Stilllegung des Proben- und Spielbetriebs bringt Konsequenzen auf allen organisatorischen Ebenen des TdA mit sich. Allein die geordnete Bearbeitung der unzähligen „Übernacht“-Absagen ist ein zeitintensiver Vorgang für unsere Verwaltung, insbesondere für die Bereiche Besucherservice, Gastspielverkauf und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Gleichzeitig gilt es, diverse, teils gegensätzliche, Interessen abzuwägen und zu moderieren: Als Theater stehen wir in unterschiedlicher Verantwortung zu unterschiedlichen Partnern, z.B. Publikum, Abonnent*innen, Gastspielpartnern und gegenüber unseren Mitarbeiter*innen; im Falle der abgesagten Vorstellungen oder gar ganzer Produktionen auch gegenüber den freischaffenden Künstler*innen, die nicht fest angestellt sind, sondern stück- oder projektbezogen mit uns arbeiten.

Das Wort Schadensbegrenzung klingt nicht reizvoll, ist aber in dieser beispiellosen Situation das oberste Ziel, weil wir einerseits nun einen Komplettwegfall der durch die Sanierung ohnehin schon geringeren Einnahmemöglichkeiten verzeichnen, andererseits Lösungen für die nachvollziehbaren Ansprüche unserer Vertragspartner suchen.

Zwischen Intendanz, Dramaturgie, Künstlerischem Betriebsbüro und Theaterpädagogik finden derweil intensive Gespräche darüber statt, wie wir unseren Spielplan mittel- und langfristig adaptieren müssen, um der Öffentlichkeit das Veranstaltungsangebot des TdA wieder voll zugänglich zu machen, sobald die behördlichen Regelungen dies zulassen.

Wir planen in der Regel bis zu zwei Jahre im Voraus und da hängt ganz schnell alles mit allem zusammen. Beispiel: Das Spielzeit-Heft für die komplette Spielzeit 2020/21 geht Ende April in den Druck. Parallel laufen die Vorbereitungen für die Spielzeit 2021/22 auf Hochtouren.

Auch in den technisch-künstlerischen Gewerken gibt es viel zu tun: Wir sind gerade erst sanierungsbedingt umgezogen, das heißt, jetzt können Kartons, die bisher wegen des Spielbetriebs unbeachtet in der Ecke standen, mit der nötigen Ruhe ausgepackt, Kostümteile oder Perücken auch werterhaltend aufgearbeitet werden. Es hatte ja kaum jemand, uns selber eingeschlossen, eine wirkliche Vorstellung davon, was es heißt, ein ganzes Theater mit 75 Mitarbeiter*innen und umfangreichem Kostüm-, Masken- und Requisitenfundus umzuziehen; wohlgemerkt, bei laufendem Betrieb.

Die Kolleg*innen in der Ausstattung arbeiten währenddessen bereits an Bühnen- und Kostümbildentwürfen für die kommende Spielzeit. Und in der Werkhalle schließen wir infrastrukturelle Maßnahmen ab, weil wir dort, ebenfalls wegen der Sanierung, IT-Arbeitsplätze für unsere Veranstaltungstechnik (Beleuchtung, Ton, Video) eingerichtet haben. Und in der Schneiderei werden Mundmasken genäht, die unser Fuhrpark verteilt. Uns wird so schnell nicht langweilig.

Wo haben sich weitere Veränderungen im Alltag erforderlich gemacht?
Für uns gelten die gleichen Bedingungen, wie sie mittlerweile wohl überall greifen: Wir beachten die bekannten Hygieneschutzvorschriften, Live-Besprechungen werden auf das absolut notwendige Mindestmaß reduziert und, wenn sie unvermeidlich sind, nur in Räumen abgehalten, in denen wir die Abstandsregeln einhalten können. Ungefähr zweimal pro Woche verschicken wir über einen internen E-Mail-Verteiler Hausmitteilungen, damit alle Mitarbeiter*innen immer auf dem neuesten Stand sind. In einigen Bereichen der Verwaltung wird teilweise mobil gearbeitet, um unnötige Sozialkontakte weiter zu reduzieren.

Aus all diesen Gründen ist nicht nur ein Vorstellungs-, sondern auch ein Probenstopp zwingend geworden.

Was bedeutet der ausgesetzte Spielbetrieb insbesondere für die Schauspieler*innen (und ihren Lohn) probt jeder für sich zu Haus, können sie überhaupt planen und auf baldiges Wiederauftreten voraushoffen?
Unser Ensemble beschäftigt sich statt mit den laufenden Stücken bereits mit den Stoffen der kommenden Saison. Außerdem produzieren die Schauspieler*innen Video-Beiträge, in denen sie sich auf jeweils individuelle Art und Weise mit verschiedenen Aspekten unseres laufenden Spielplans befassen und die wir über unseren Auftritt in den sozialen Netzwerken verbreiten. Damit sind wir Teil der Ini­tiative #theaterzuhause, an der auch andere Bühnen aus Sachsen-Anhalt beteiligt sind.

Aktuell erhalten die Schauspieler*innen, wie alle Beschäftigten des TdA, ihren Lohn.

Erst hatten Sie wegen der Sanierungsbauarbeiten den Umzug und die Aufteilung an diverse Betriebsstätten zu bewerkstelligen – jetzt Corona: Entwickeln Sie allmählich einen gewissen schicksalsergebenen Fatalismus oder wie gehen Sie mit dieser Situation als Intendant und Chef zahlreicher Mitarbeiter*innen um?
Glücklicherweise glaube ich nicht ans Schicksal. Sonst müsste ich mich langsam fragen: Muss das jetzt alles auf einmal kommen? So schlicht wie es vielleicht klingt: Es ist, wie es ist. Wir machen jetzt das Beste daraus. Heiner Müller, einer der wohl bedeutendsten deutschsprachigen Dramatiker des 20. Jahrhunderts und eine prägende Schriftstellerpersönlichkeit der DDR, hat gesagt: „Theater ist Krise“, grundsätzlich. Und jede Krise birgt eine Chance.

Ich sehe in der aktuellen Lage unter anderem die Chance, dass der Gesellschaft jetzt – Stichwort: „Social Distancing“ – sozusagen auch physisch bewusst wird, dass das gemeinsame Erleben von Kunst und Kultur keinen Luxus darstellt, sondern ein Grundbedürfnis der Menschen ist. Wenn diese Wertschätzung sich also jetzt, wo alle zu Hause bleiben müssen, gesellschaftlich neu formuliert, birgt das für uns Theatermacher*innen im Hinblick auf die Zeit nach oder auch mit Corona eine große Möglichkeit. Ich habe auch den Eindruck, dass die Mitarbeiter*innen des TdA besonnen und verantwortungsvoll mit der Situation umgehen.

Die komplex miteinander verwobenen Herausforderungen, die sich aus der Parallelität von Umzug, Sanierung und Corona-Lage ergeben, machen uns deutlich, wie wichtig der kontinuierliche Austausch und das Miteinander sind, um gut durch diese Zeit zu kommen.

Wie und was planen Sie für den weiteren Spielplan – kann überhaupt irgendwas geplant werden? Was passiert mit all den ausgefallenen Premieren und Stücken, die nicht gezeigt werden können – wird es Ersatzvorstellungen geben?
Durch die Einstellung des Spielbetriebs zwischen dem 12. März und dem 19. April sind mindestens 60 Veranstaltungen des TdA ausgefallen, davon vier Premieren in allen Sparten des TdA (Abendspielplan, Junges TdA, Bürgerbühne); nicht eingerechnet sind hier die vielen Abstecher, die wir in den Bereichen Klassenzimmerstück, Puppenspiel oder unserer Reihe „Klein & Kunst“ anbieten. So gerne wir alles „retten“ wollen – das ist leider nicht möglich. Wir können nicht x-beliebig viele Veranstaltungen in ein immer engeres Zeitfenster zwischen dem 20. April und dem Spielzeitende quetschen, weil unsere Schauspieler*innen und Techniker*innen ja nicht zwei Vorstellungen gleichzeitig spielen können.

Am schlimmsten getroffen hat uns in diesem Zusammenhang die unumgängliche Absage der Produktion „Roland rettet die Hanse“, die wir aufgrund ihres personellen Umfangs und dem damit verbundenen Zeitaufwand nun nicht mehr umsetzen können. Es gibt mittlerweile einen geänderten Spielplan für die Zeit ab dem 20. April, aber ich befürchte, dass wir auch diesen noch mehrmals adaptieren werden müssen.

Die aktuelle Diskussion der Corona-Lage in den Medien legt nahe, dass es vor Ostern keine klaren behördlichen Ansagen geben wird, ob und in welcher Form die momentanen Kontaktbeschränkungsmaßnahmen, die 1:1 auf unseren Veranstaltungsbetrieb durchschlagen, verlängert werden oder nicht. Insofern planen wir, mit einer Mischung aus künstlerischem Anspruch, Pragmatismus und der notwendigen Zuversicht, innerhalb unsteter terminlicher Rahmenbedingungen.

Glücklicherweise sind wir, was unser Improvisationsgeschick betrifft – Stichwort: Spielbetrieb an den Außenspielstätten –, diesbezüglich bereits „im Training“.