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Die Psychiaterin Dr. Ute Ebrsbach spricht über Ursachen, Symptome und Heilung Die Ungewissheit überfordert Menschen

25.07.2012, 03:19

Die nachlassende Sicherheit, einer stabilen Gruppe von Menschen anzugehören, ist für Dr. Ute Ebersbach ein wesentlicher Grund, warum immer mehr Menschen unter Depressionen leiden. Sibylle Sperling sprach mit der Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie Uchtspringe über eine Volkskrankheit.

Volksstimme: Was sind die Ursachen für Depressionen?

Ute Ebersbach: Für die Entstehung gibt es drei Faktoren - genetische, biologische und psychische. Genetisch bedeutet, dass es von den angeborenen Besonderheiten der Psyche und der Persönlichkeit abhängt, ob ein Ereignis eine Depression auslöst.

Manche Menschen sind anlagebedingt empfindsam. Aber es gibt auch biologische Ursachen, organische Erkrankungen, die Depressionen auslösen können. Stoffwechselstörungen, Nieren-, Schilddrüsen-, Leber- und Darmerkrankungen, neurologische Krankheiten oder Alkohol- und Suchtmittelmissbrauch.

Außerdem lassen sich bei vielen Menschen psychologische Faktoren nachweisen. Das können belastende Ereignisse wie der Verlust einer Bezugsperson, Traumatisierungen, länger andauernde oder der Wegfall von Belastungen sein.

Volksstimme: Wie äußern sich Depressionen?

Ebersbach: Die Symptome können sehr unterschiedlich sein. Die Betroffenen können unter einer Hemmung leiden: Sie haben keine Interessen mehr, sind energielos und erschöpft. Vielleicht können sie sogar nichts mehr fühlen. Viele leiden unter Konzentrations- und Schlafstörungen und körperlichen Beschwerden wie Appetitlosigkeit, haben ein Druck- und Schweregefühl in der Brust oder körperliche Schmerzen.

Andere leiden in erster Linie unter ängstlicher Getriebenheit, Bewegungsunruhe, ständiger Unzufriedenheit. Es gibt aber auch die, die durch Hyperaktivität, Rededrang und das Fehlen eines Krankheitsgefühls auffallen, die sich in die Arbeit stürzen.

40 bis 80 Prozent der Depressiven haben Suizidgedanken, 20 bis 60 Prozent haben schon mal versucht, sich das Leben zu nehmen.

Volksstimme: Abgesehen vom Suizid haben diese Symptome sicher viele Menschen schon einmal verspürt. Wann spricht man von einer Depression?

Ebersbach: Der Übergang ist fließend. Die Frage ist, wie stark ausgeprägt die Symptome sind. Wichtig ist, ob der Betroffene das Ausmaß noch akzeptieren kann oder sein Leben nur noch stark eingeschränkt führt.

Volksstimme: Gibt es Frühsymptome?

Ebersbach: Ja. Eine sehr pessimistische Lebenseinstellung, sozialer Rückzug, verstärkte Trauerreaktionen und fehlendes Selbstvertrauen.

Volksstimme: Nimmt die Erkrankung durch unsere stressige, schnelllebigere Welt zu?

Ebersbach: Depressionen gab es schon bei den alten Griechen im 5. Jahrhundert vor Christi und sind uns aus allen Jahrhunderten durch Beschreibungen in der Kunst bekannt. Depressionen sind zunehmend Ursachen für die Unfähigkeit, zur Schule oder zur Arbeit zu gehen, und Gründe für medizinische Behandlungen und Frühberentungen. Viele Kinder und Erwachsene sind überfordert mit den sich ständig ändernden Lebensumständen, mit den Anforderungen und der Ungewissheit.

Menschen, besonders Kinder, brauchen verlässliche Beziehungen, Rituale, das Gefühl zu wissen, was sie erwartet. Das sind wichtige Voraussetzungen, um ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln. Ich glaube, dass die nachlassende Sicherheit, einer stabilen Gruppe von Menschen anzugehören, in der gegenseitiges Vertrauen sowie sich aufeinander verlassen wichtig sind und in der es feste Regeln gibt, negative Auswirkungen hat.

Volksstimme: Sind Depressionen heilbar?

Ebersbach: Grundsätzlich ja. Es gibt Menschen, die nur einmal erkranken. Aber es gibt auch chronisch verlaufende Depressionen. Die Gefahr einer Chronifizierung steigt mit dem Ausbleiben einer effektiven Behandlung.