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50 Jahre Stadtsee Ehemaliger DJ aus Stendal erinnert sich an Party-Szene zu DDR-Zeiten im Stadtseegebiet

Der ehemalige Plattenunterhalter Helmut Groth erzählt von Jugendtänzen und Soli-Diskos in Stendal.

Von Antonius Wollmann 23.07.2021, 16:38
Helmut ?Billy? Groth testete seine Anlage vor einer Feier in den Seeterrassen. Das Bild stammt aus den 80er Jahren. Die Seeterrasen waren  1982 eröffnet worden.
Helmut ?Billy? Groth testete seine Anlage vor einer Feier in den Seeterrassen. Das Bild stammt aus den 80er Jahren. Die Seeterrasen waren 1982 eröffnet worden. Foto: Privatarchiv Hemut Groth

Stendal - Immerhin beschwerte sich niemand über die Musik. Dass die Cola-Preise mit 95 Pfennigen für einige zu hoch waren und es nichts zu essen gab – daran konnten die DJs Helmut „Billy“ Groth und sein Partner Siggi Erhard nun wahrlich nichts ändern. Zum Tanzen wollten sie die Jugendlichen in der Gaststätte am Fritz-Heckert-Ring in Stendal-Stadtsee bringen. Was ihnen auch gelang, wenn man dem Volksstimme-Bericht vom 28. Februar 1980 glaubt: „Bald nach Beginn musste wegen Überfüllung der Einlass gestoppt werden. Auf der Tanzfläche drängten sich die Teenager.“ Die damals 13-jährige Schülerin Cornelia Kutz geriet geradezu ins Schwärmen: „Nach dem Pioniernachmittag geht es gleich hierher. Die Musik ist dufte.“

Jeden zweiten Mittwoch wiederholte sich das Spektakel. „Disko nach der Schule“ stand dann auf dem Programm. Von 15 bis 18 Uhr. Unter der Regie des Klubs der Bauarbeiter „Ludwig Turek“.

Eingeladen waren alle zwischen 12 und 16 Jahren. Zwischendurch griffen die beiden Schallplattenunterhalter, so die offizielle Bezeichnung, auch mal zum Mikrofon, um ein Quiz einzustreuen. „Das war beliebt, gab es ja Schallplatten zu gewinnen“, erzählt Helmut Groth 41 Jahre nach dem Party-Nachmittag.

DJ legt in Stendal für Schüler, Jugendliche und Erwachsene auf

Grau sind seine Haare mittlerweile, doch seine Augen leuchten, wenn er von Nachmittagen und Abenden erzählt, bei denen er für die gute Laune zuständig war. Ob er für Schüler, junge Erwachsene oder für ältere Semester auflegte, sei ihm dabei ziemlich egal gewesen.

Sorgfältig hat er die Dinge archiviert, die an seine Zeit als DJ erinnern. Natürlich seine offizielle Zulassung, schließlich war auch das Nachtleben in der DDR eine Sache des Staates. Seinen Kalender aus dem Jahre 1989 außerdem. Jeden dritten Tag eine Tanzveranstaltung.

Seine Platten und das Tonbandgerät hat Helmut Groth bis zum heutigen Tage behalten.
Seine Platten und das Tonbandgerät hat Helmut Groth bis zum heutigen Tage behalten.
Foto: Antonius Wollmann

Fotos zeigen Groth mit langen Haaren, Koteletten und Vollbart hinterm selbst gebauten Pult. Darauf abgebildet: Ein fliegendes UFO, das die „Schnelle Musikalische Hilfe“, kurz SMH, ankündigt, so der Name seiner Disko. „Beim Titel habe ich mich an den Bands der Neuen Deutschen Welle orientiert. Kurz und einprägsam sollte er sein“, sagt der 71-Jährige. Die SMH, so erzählt es der Stendaler, sei im Laufe der Jahre eine richtige Marke geworden. Noch bekannter als der Vorgänger „Polarlicht“. Legte er anfangs ganz klassisch Schallplatten auf, stieg er in den 80er Jahren auf Kassetten um. Alles in schönster Handschrift dokumentiert in seinem akkurat geführten DJ-Buch.

Nur auf einer Seite sind Flecken zu sehen. „Da hab ich wohl mal kurz mein Bierglas abgestellt“, sagt der Informationstechniker lachend.

Um 23.30 Uhr hören zu DDR-Zeiten die feiern in Stendal auf

Ein anderer Zeitungsartikel kündigt eine „Soli-Disko“ in den Seeterrassen an. Damals so etwas wie sein Stammladen. Doch eigentlich war er überall dort zuhause, wo die Menschen sich vom Alltag ablenken wollten. Ob in Stendal, Tangermünde oder Tangerhütte. Aber besonders oft in jenem Stendaler Stadtteil, in dem die meisten Menschen lebten. Im Jugendklub „11. Parlament“, in der schon angesprochenen Gaststätte am Fritz-Heckert-Ring oder später im Café Babett. „Zu DDR-Zeiten war bei den Erwachsenen ja meistens um 23.30 Uhr Schluss. Weil ich hauptberuflich für die EDV im Plattenwerk zuständig war, kam mir das natürlich sehr entgegen“, sagt Helmuth Groth.

Das hätte gerne alles so weitergehen können. Doch waren die Zeiten bald andere. Zum „Solidaritäts-Jugendtanz“ lud bald niemand mehr ein. Viele Gaststätten in Stadtsee überlebten die Wende nicht. Auch das Ausgehverhalten änderte sich.

Schluss um kurz vor Mitternacht? Davon wollte niemand mehr was wissen. 1993 stand Helmuth Groth das letzte Mal bei einer offiziellen Feier hinter seinem Pult. Bitter ist er darüber nicht geworden. „Am Ende war es nicht mehr richtig meine Welt“, sagt er ohne Nostalgie in der Stimme. Nur vor kurzem, zu seinem 71. Geburtstag, ließ er alles noch einmal aufleben. Holte sein altes Schild aus dem Keller, erstellte eine Musikliste und ließ sie den ganzen Abend laufen. Ob sich danach jemand über die Cola-Preise beschwerte, ist nicht überliefert.