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Blumenstrauß des Monats Juli für den 29-Jährigen Stendaler Sebastian Soisson Einfach nur blitzschnell reagiert

Von Egmar Gebert 11.07.2015, 03:01

Einmal im Monat überreicht die Volksstimme im Auftrag ihrer Leser einen Blumenstrauß. Im Juli geht er an Sebastian Soisson. Der 29-jährige Stendaler rettete drei Kinder vom Balkon einer brennenden Wohnung.

Stendal l Der gelernte Heizungsbauer Sebastian Soisson ist in mehreren Handwerksberufen fit. Wäre es anders, hätte er seinen heutigen Job als Hausmeister nicht, der ihn am 24. Juni in die Lucas-Cranach-Straße im Stendaler Wohngebiet Stadtsee führte. Dass er aber an diesem Tag für andere, ihm unbekannte Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein würde, ahnte der 29-jährige Stendaler nicht, als er sich zur Arbeit aufmachte.

Es war ein Mittwoch, und bis zu diesem Augenblick kurz vor der Mittagspause ein ganz normaler Arbeitstag für den jungen Mann. Mit einem Kollegen war Sebastian Soisson dabei, eine Halle aufzubauen. "Ich saß auf dem Dach, als ich das Rufen gehört habe: `Hilfe, es brennt`." Das Haus in der benachbarten Albrecht-Dürer-Straße, aus dem der Hilferuf kam, konnte Sebastian Soisson sehen, als er aufblickte. "Hilfe, ich habe Kinder, Hilfe", drang es an sein Ohr, als er die Frau auf dem Balkon im zweiten Stock des Hauses wahrnahm. Und er sah von seinem erhöhten Standort auch, dass die junge Frau ein kleines Kind an der Hand hielt. Aus der Balkontür drang dichter Qualm nach draußen.

"Der Kleine war schwarz vor Ruß und hat keinen Mucks gesagt"

"Da war für mich klar: Ich muss da hin", schildert der 29-Jährige seine Reaktion, die mehr ein Reflex war. In Sekunden kletterte der sportliche Mann - Fußballer beim BSC Stendal - von der Halle, sprintete die knapp hundert Meter zum Haus in der Dürerstraße, stand unter dem Balkon der brennenden Wohnung. Gut fünf Meter über ihm die verzweifelte Frau, die ein Baby in ihren Armen hielt. Sebastian riss die Arme hoch, so hoch er konnte. "Komm, wirf!"

Die Frau beugte sich über die Brüstung und ließ das Kind fallen. "Als ich es auffing, bin ich ganz tief in die Knie gegangen, um das abzudämpfen und damit dem Kind so wenig wie möglich passieren kann. Ich hab in sein Gesicht gesehen, und einen riesigen Schreck gekriegt. Der Kleine war schwarz vor Ruß und hat keinen Mucks gesagt. Ich hab ihn in den Arm gekniffen, auf den Rücken geklopft, ihn angepustet. Dann fing er leise zu weinen an. Er atmet, hab ich gedacht, und ihn auf den Rasen gelegt. Das waren nur Sekunden, aber es hat sich angefühlt wie eine Ewigkeit."

Im nächsten Augenblick stand Sebastian Soisson wieder, die Arme in die Luft gereckt. So fing er auch die zweijährige Schwester des Babys und dann den ein Jahr älteren Bruder auf. Die Mutter der drei kleinen Kinder rettete sich kletternd über zwei benachbarte Balkone und kam durchs nächste Treppenhaus ins Freie.

Um die Kinder kümmerten sich derweil herbeigeeilte Nachbarn, die inzwischen auch die Feuerwehr alarmiert hatten. Sebastian Soisson hätte aufatmen können, doch: "In diesem Moment hat`s noch mal Klick gemacht im Kopf. Da müssen doch noch mehr Leute im Haus sein. Im fünften Stock sah jemand aus dem Fenster. Also bin ich die Treppen hoch. Ein älterer Mann hat mir die Tür aufgemacht. Da waren auch drei Kinder, so etwa fünf bis acht Jahre alt. Ich habe das jüngste auf den Arm genommen, der Mann die beiden anderen an die Hand und dann die Treppen wieder runter", schildert Sebastian Soisson.

Als er vor die Tür trat, waren Feuerwehr und Rettungsdienst bereits im Einsatz. Der junge Mann ging zu einem der Rettungswagen. Alles in Ordnung, erfuhr er, aber viel länger hätte das Ganze für die Kinder wohl nicht dauern dürfen. "Ich bin dann zurück auf mei- ne Baustelle. Erst da kamen die Gedanken. Erschreckend, wie schnell so etwas passieren kann. Wir haben ja selbst ein kleines Kind. Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich meinen Sohn auf den Arm genommen und ihn einfach nur ganz fest gedrückt. Das musste sein..."

Heute, zweieinhalb Wochen später, weiß Sebastian Soisson, dass die 21-jährige Mutter und ihre drei Kinder das Geschehene gesundheitlich gut überstanden haben. "Schlimm ist es trotzdem. Sie hat ja alles verloren. Ein paar Sachen für die Kinder konnten wir ihr zukommen lassen." Gesprochen habe er mit der jungen Frau noch nicht. "Das hat Zeit", sagt Sebastian. "Wenn sie soweit ist, dann wird es ein Treffen geben. Wichtiger ist: Die Frau und die Kinder sind zusammen und sie sind versorgt. Das ist gut."

"Ich konnte helfen, und ich habe es gemacht. Das ist alles"

Gut ist es damit auch für den 29-jährigen Stendaler, der um die Mittagszeit des 24. Juni drei Kinder vom Balkon einer brennenden Wohnung in der Albrecht-Dürer-Straße gerettet hat. Dafür müsse man ihn nicht irgendwie ehren oder so, sagt Sebastian Soisson, und das auch nur, weil ich ihn danach gefragt habe. Klar, das Schulterklopfen der Kollegen und das "Haste toll gemacht" tue schon gut, ansonsten: "Ich war in diesem Augenblick eben da. Ich konnte helfen, und ich habe es gemacht. Das ist alles. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich hätte in dieser oder einer anderen Situation helfen können und ich hätt`s nicht gemacht. Damit könnte ich nicht leben."