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Fischsterben Ausmaß im Stadtsee noch nicht absehbar

Angler sprechen von einer verheerenden Katastrophe. 1,5 Tonnen tote Fische haben sie schon am Ufer des Stendaler Stadtsees eingesammelt.

Von Regina Urbat 19.08.2019, 01:01

Stendal l Sonnabendmorgen am Stadtsee. Während einige Jogger ihre Runden drehen, schaut Jürgen Schwarzlose wie gebannt auf das Wasser. „Dort liegt wieder einer“, sagt der Gewässerwart des Stendaler Anglervereins, als die Volksstimme am verabredeten Treffpunkt erscheint. Im flachen Uferbereich unter einer Weide schwimmt ein großer Karpfen, leblos, das Maul ist weit aufgerissen. „Es ist ein Schupper, der wie die vielen hundert anderen Fische jämmerlich erstickt ist“, sagt der 66-Jährige und lässt das für ihn „grausige Dilemma“ in der Vorwoche noch einmal Revue passieren.

Am Dienstagmorgen wird der Gewässerwart von einem Mitglied alarmiert, dass stellenweise zu Hauf tote Fische an das Ufer des Stadtsees gespült worden sind. „Ich hatte schon die Klinke in der Hand, da klingelt mein Festnetztelefon. Die Kreisverwaltung war es.“ Schwarzlose habe entgegnet, dass er bereits auf dem Weg sei, um Ursache und Ausmaß festzustellen. „Aus der Ferne geht so etwas ja nicht“, sagt der erfahrene Gewässerwart. Vor Ort habe er nicht lange gebraucht, um den Grund für das Fischsterben herauszufinden. „Es war schlichtweg Sauerstoffmangel, begünstigt durch das plötzliche Kippen der Algen.“

Die lang anhaltende Sonneneinstrahlung und Hitze habe bei der Größe der Wasseroberfläche von 9,6 Hektar und einer Tiefe von nur einem bis 1,4 Meter zu einer starken Verdunstung geführt. Schwarzlose zeigt auf die gegenüberliegende Uferzone, die mit Holzpalisaden befestigt ist. „Dort kannst du genau sehen, wie viel Wasser dem See fehlt“, sagt der seit 50 Jahren aktive Angler und schätzt: „ein dreiviertel Meter“. Die Pegel von Stadtsee und Uchte, die Zu- und Ablauf für das Gewässer ist, stehe und falle mit dem Niederschlag, der auch in diesem Sommer in Größenordnung gefehlt habe. „Scheinbar hatten wir im Vorjahr noch Glück“, sagt Schwarzlose und ist gedanklich wieder bei den toten Fischen.

In Windeseile sei am Dienstag versucht worden, Helfer zusammenzutrommeln, um die Kadaver einzusammeln. „Du kannst doch den stinkenden Fisch nicht liegen lassen. Wir als Pächter des Stadtsees fühlten uns sofort verantwortlich“, sagt Schwarzlose. 20 bis 30 Angler, überwiegend Rentner, hätten geholfen, auch am Mittwoch, als erneut viele erstickte Fische ans Ufer gespült worden sind. „Von den großen Umweltverbänden und aus den Ämtern hast du nicht einen gesehen.“

Wertvolle Unterstützung haben Feuerwehr, THW und die Tierparkleitung geleistet. Letztere stellte Rollwagen zur Verfügung und erlaubte die Zwischenlagerung der Kadaver. Die Entsorgung habe die Tierköperbeseitigungsfirma Secanim in Rätzel bei Genthin übernommen. „Kostenpflichtig“, sagt Schwarzlose zähneknirschend. Für die eine Fuhre von 716 Kilogramm rechne er mit etwa 250 Euro. Insgesamt hätten die Angler gut 1,5 Tonnen tote Fische eingesammelt.

„Das ist schon eine verheerende Katastrophe“, sagt Schwarzlose. Unter den erstickten Tieren seien kapitale Marmor-, Schuppen- und Spiegelkarpfen gewesen. Fischbestand, der zur Stabilisierung der Wasserqualität beitrage. So richtig „weh“ habe es getan, die vielen Zander, die gerade abgelaicht hatten, verendet zu sehen. Den Schaden könne Schwarzlose noch nicht beziffern. Jährlich investiere der Stendaler Anglerverein, dem bis zu 1.000 Mitglieder angehören, in den Besatz der insgesamt neun Pachtgewässer zehn bis elf tausend Euro. „Den Stadtsee können wir erst einmal abhaken.“ Über den Winter hinweg werde beobachtet, wie sich der Wasserstand entwickelt. Auch soll der Sommer 2020 abgewartet werden. „Wir wollen hier kein Geld verbrennen“, so der Gewässerwart.

Vorrang habe zurzeit die Umwälzung des Wassers. Die Kameraden der freiwilligen Feuerwehr und das THW Stendal haben dies in der Vorwoche praktiziert. So wurde sauerstoffarmes Wasser vom Grund hoch gepumpt und über einen Schlauch wieder auf den See gesprüht, an mehreren Tagen, jeweils einige Stunden lang. Die Pumpen schafften 2.000 Liter pro Minute. „Die Auffrischung hat geholfen“, sagt Jürgen Schwarzlose. Bis auf den Karpfen habe er keinen Kadaver an diesem Morgen gesichtet. Dafür einige kleine Ringe auf der Wasseroberfläche. „Da zuppelt noch etwas Leben.“

Von einer Rettung des Sees will er nicht sprechen. „Es muss endlich mehr passieren“, hadert der Gewässerwart. Das auf Schildern ausgewiesene Fütterverbot von wildlebenden Tieren müsse von den Bürgern strikt eingehalten werden. Auch sollten einige Großbäume gestutzt werden. Sie würden durch Laubfall für tonnenweise Biomasse auf dem Grund des künstlich angelegten Sees sorgen, die dann Unmengen Sauerstoff binde. Die Stadt Stendal als Eigentümer sollte den Einbau einer Fontäne, die es zu DDR-Zeiten schon einmal gab, prüfen.

Im Rathaus läuten beim Thema Fischsterben „die Alarmglocken“, versichert Pressesprecher Armin Fischbach auf Volksstimme-Nachfrage. Es solle deshalb umgehend gemeinsam mit der Fachbehörde der Kreisverwaltung nach einer Lösung gesucht werden. Infrage käme durchaus ein Springbrunnen. Untersucht werden sollten die Zu- und Abflüsse des Sees. Eine erneute Entschlammung käme nicht infrage. Sie sei viel zu kostenintensiv. „Vielleicht schalten wir einen Gutachter ein“, so der Pressesprecher.

Ob die Gefahr des Sauerstoffmangels früher hätte erkannt werden können? „Diese Frage kann man durchaus stellen“, sagt Stefan Feder, Sachgebietsleiter Wasserwirtschaft beim Kreis, gegenüber der Volksstimme. Beispielsweise hätte eine permanente Messung der Wassertemperatur Aufschlüsse geben können. Andererseits würden viele stehende Gewässer in diesem Sommer unter Sauerstoffmangel leiden. Beim Stadtsee werde dies wegen der großen Oberfläche begünstigt. Sie habe eine hohe Verdunstung zur Folge. Hinzu komme, so Feder weiter, dass die Uchte mit ihrer minimalen Fließgeschwindigkeit so gut wie kein Frischwasser liefere.

Was die toten Fische betrifft, sei der Anglerverein von der Kreisbehörde angewiesen worden, die Kadaver fachgerecht zu entsorgen. Eine Beprobung sei nicht notwendig gewesen, da die Todesursache eindeutig auf mangelnden Sauerstoff zurückzuführen ist. Um zu verhindern, dass alles Leben im Stadtsee ausgelöscht wird, „soll die Wasserumwälzung bei Bedarf weiter angewandt werden“, sagt Stefan Feder. Da dies keine Dauerlösung sei, sehe auch er in Zusammenarbeit mit der Stadt und den Anglern dringenden Handlungsbedarf, um eine langfristige Alternative für den Stadtsee in Stendal zu finden.