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Vor zehn Jahren stellte die Altmärkische Kleinbahn AG ihren Dienst ein Gleise über Grenzen und Wurzeln

Von Wolfgang List* 24.06.2011, 04:36

Am 10. Juni 2001 verkehrte zum letzten Mal ein Triebwagen auf der Strecke Hohenwulsch – Kalbe/Milde. Damit endete vor gut zehn Jahren die Geschichte einer Eisenbahn, die am 18. Dezember 1899 als regelspurige Kleinbahnstrecke von Bismark (heute Hohenwulsch) über Calbe/Milde bis nach Beetzendorf quer durch die mittlere und westliche Altmark eröffnet wurde.

Altmark. Damals nannte sich die Eigentümerin noch "Kleinbahn Aktiengesellschaft Bismark-Calbe-Beetzendorf". Im Verlaufe weniger Jahrzehnte erweiterte und verzweigte sich ihr Streckennetz immer mehr, so dass ihre endgültigen Endpunkte Bismark Anschluss, Gardelegen Anschluss, Klötze, Zasenbeck und Wittingen Hauptkleinbahnhof hießen. Nach mehrfachen Streckenerweiterungen und Fusionen nannte sie sich "Altmärkische Kleinbahn AG".

Die Altmärkische Kleinbahn Aktien-Gesellschaft mit ihrem betrieblichen Mittelpunkt Calbe/Milde darf rückblickend durchaus als ein Unternehmen der Extreme bezeichnet werden. Sie war die größte unter den altmärkischen Kleinbahn-Gesellschaften, denn sie betrieb das längste regelspurige Streckennetz in der mittleren und westlichen Altmark. In der Rangliste der provinzial-sächsischen Kleinbahnen stand sie nach der Genthiner Kleinbahn auf Platz 2!

Ihre Wurzeln verzweigten sich in drei Vorgänger-Unternehmen und reichten zurück bis in das Jahr 1897, als die Altmärkische Kleinbahn GmbH als erste Kleinbahn in der Altmark ihre schmalspurige Strecke von Klötze nach Faulenhorst im Kreis Gardelegen in Betrieb nahm, die später bis Vinzelberg verlängert wurde. Aus dieser Zeit datieren auch konkrete Planungen einer regelspurigen Kleinbahn von Bismark im Nachbarkreis Stendal über Calbe/Milde nach Beetzendorf quer durch den Süden des Kreises Salzwedel, die kurz vor Weihnachten 1899 eröffnet wurde.

17 Jahre lang kreuzten sich in Groß Engersen höhengleich eine schmalspurige und eine regelspurige Kleinbahnstrecke. Die Altmärkische Kleinbahn hatte die meisten Anschluss- und Gemeinschaftsbahnhöfe, besaß die größte Anzahl Betriebsmittel und beschäftigte das meiste Personal. Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges war sie die einzige Gesellschaft, bei der zwei Teilstrecken von der britisch-sowjetischen Zonengrenze und späteren Staatsgrenze West durchtrennt wurden. 1949 ging das nach Kriegsende enteignete Unternehmen als Nebenbahn in die Deutsche Reichsbahn über. Von der regelspurigen Stammstrecke der Kleinbahn AG Bismark-Calbe/Milde-Beetzendorf stand das Reststück Hohenwulsch–Kalbe/Milde noch bis zum Sommer 2001 in Betrieb und wurde als einzige ehemalige Kleinbahnstrecke über 100 Jahre alt.

Andreas Kühn aus Thüritz und Wolfgang List aus Stendal haben die überaus spannende Geschichte dieses bemerkenswerten Unternehmens in ihrem Buch "Die Altmärkische Kleinbahn AG" aufgeschrieben. In diesen Tagen ist Redaktionsschluss, denn es wird zu Weihnachten 2011 im Buchhandel oder über den Verlag Bernd Neddermeyer in Berlin erhältlich sein. Die Autoren waren als bodenständige Altmärker Zeitzeugen des Nebenbahnbetriebes auf den Strecken der ehemaligen altmärkischen Kleinbahnen. In jahrzehntelangen Forschungen haben sie zeitgenössisches Archivmaterial durchgearbeitet und längst verschollen geglaubte Dokumente aufgefunden. Sie konnten einzigartiges Bildmaterial zusammentragen, tatkräftig unterstützt von vielen Heimatforschern und Hobbypartnern, und befragten ehemalige Kleinbahner zu deren Lebzeiten noch als Zeitzeugen, um ihre Erinnerungen zu notieren. Auf über 300 Seiten Text mit rund 600 Abbildungen und Plänen sowie zahlreichen Tabellen wird die Geschichte dieses altmärkischen Eisenbahn-Unternehmens umfassend gewürdigt.

*Wolfgang List ist Eisenbahn- historiker und ehemaliger Mitarbeiter der Volksstimme