Gesundheitsversorgung Hochschule Stendal treibt Projekt „Anonymer Krankenschein“ voran
Von wem können sich Menschen ohne Krankenversicherung helfen lassen? Der „Anonyme Krankenschein“ soll Abhilfe schaffen.

Stendal - Obdachlos, keine Krankenversicherung, aber schwere Zahnschmerzen – an wen können sich Menschen in solch einer Lebenslage wenden? Das Projekt „Anonymer Krankenschein“ (AKS) soll Abhilfe schaffen. In Thüringen wird es bereits umgesetzt. Die Hochschule Magdeburg-Stendal will den AKS auch in Sachsen-Anhalt salonfähig machen.
„Es geht um die Idee, dass alle Menschen denselben Zugang zu Ressourcen haben sollen“, sagt Sevasti Trubeta, Professorin für Kindheit und Migration an der Hochschule in Stendal. Egal, ob Obdachlose oder Geflüchtete: Jeder, der keine Krankenversicherung hat, soll zum Arzt gehen dürfen. „Weil der Aspekt Menschenrechte im Mittelpunkt steht.“
Neuer Name, neues Geburtsdatum
Genau an dieser Stelle setzt der anonyme Krankenschein an. Wie das Konzept funktioniert, erklärt Carola Wlodarski-Simsek. Sie ist Projektkoordinatorin des AKS in Thüringen und nennt ein Beispiel: Wir sind wieder bei dem Obdachlosen mit seinen schweren Zahnschmerzen. Wird in seinem Bundesland der AKS angeboten, kann er sich an seinen sogenannten Vertrauensarzt wenden. Da sei es zunächst egal, was für ein Arzt es ist. Der Mediziner nimmt den Patienten auf und stellt ihm einen Krankenschein mit neuem Namen und neuen Geburtsdaten aus, damit alles anonym bleibt. Mit diesem Dokument kann der Erkrankte zum entsprechenden Facharzt gehen. Der – in diesem Beispiel ein Zahnarzt – rechnet die Behandlungskosten bei den Verantwortlichen vom AKS ab. „Wir sind die Krankenversicherung für Leute ohne Krankenversicherung“, sagt Carola Wlodarski-Simsek.
In Thüringen wurde der AKS 2014 angeschoben und mit viel politischer Vorarbeit im Dezember 2016 etabliert. Carola Wlodarski-Simsek beantragt nun jährlich Fördergeld, um Menschen ohne Krankenversicherung eine medizinische Versorgung zu gewährleisten. Das betrifft rund 1500 Menschen in Thüringen. In Sachsen-Anhalt dürfte die Zahl ähnlich sein, schätzt die Projektkoordinatorin.
Landtag muss Entscheidung fällen
Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt kann nur wenig zu Personen ohne Krankenversicherung sagen. Pressesprecherin Heike Liensdorf gibt auf Volksstimme-Nachfrage aber den Hinweis, dass jetzt schon örtliche Sozialhilfeträger bei der Kostenübernahme der medizinischen Versorgung helfen können.
Damit nicht die Sozialhilfeträger, sondern ein AKS-Verein in Sachsen-Anhalt die Abrechnung übernimmt, muss der Landtag eine entsprechende Entscheidung fällen. Im aktuellen Koalitionsvertrag stünde die Tür dafür offen. Bei „Bedarf“ könne ein AKS in Sachsen-Anhalt ähnlich wie in Thüringen etabliert werden.
Um Ideen zu sammeln und die Politik vom AKS zu überzeugen, hatte die Hochschule Stendal für den 5. Oktober eine Fachtagung organisiert, die von Sevasti Trubeta moderiert wurde. Im Jahr 2021 ist die Professorin im Rahmen der altmärkischen Netzwerkkonferenz (organisiert von der Hochschule) auf den AKS gestoßen. Die Projektgruppe „Solidarische Stadtbürgerschaft“ kam damals erstmals zusammen und zeigt mit dem AKS, dass die Gruppe das Wort „Solidarität“ im Namen ernst meint.