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Integration Wie ein Anruf seinem Leben eine Wende gibt

Volksstimme-Serien: Auf eine Tasse Kaffee mit einem Hochbauingenieur, der aus Syrien stammt und in Stendal angekommen ist.

Von Regina Urbat 08.11.2019, 16:59

Stendal l Auf der Jubiläumsveranstaltung „100 Jahre Volkshochschule Stendal“ hat sich Majed Kour Ahmad spontan zu Wort gemeldet. Der 40-jährige Syrer bedankte sich bei all jenen Menschen, die dazu beigetragen haben, dass er und seine Familie in der Hansestadt eine neue Heimat gefunden haben.

Bei einer Tasse Kaffee mit der Volksstimme wiederholt der Bauingenieur seine Dankbarkeit und berichtet über seine Beweggründe, sein Heimatland zu verlassen, über Anfangsschwierigkeiten und Hoffnungen. Eins wird in dem Gespräch schnell deutlich: Majed Kour Ahmad ist ein ehrgeiziger und zielstrebiger Mensch, dem seine Frau und drei Kinder das Wichtigste sind und für die er sich wünscht, dass sie in Sicherheit und Geborgenheit leben können. Dass er das einmal 3.800 Kilometer fern von Syrien in einer Kleinstadt wie Stendal finden würde, „hätte ich nicht geglaubt“, sagt Majed Kour Ahmad.

Geboren und aufgewachsen ist er in Damaskus, hat in der Hauptstadt an der Uni studiert und absolvierte 2002 seinen Abschluss im Bauwesen. Bis 2010 blieb er in der Millionen-Metropole, arbeitete dann zwei Jahre in Saudi Arabien. Während dieser Zeit begann der Krieg in Syrien, dennoch kehrte er mit seiner Frau und dem ersten Sohn nach Damaskus zurück. „Es war sehr unruhig und oft gefährlich“, sagt Majad Kour Ahmad. Als seine Tochter geboren wurde, suchte die Familie im benachbarten Libanon Schutz. „Ich dachte, wir bleiben zwei oder drei Wochen.“ Doch die Lage in Syrien spitze sich zu. So seien aus drei Wochen eineinhalb Jahre geworden.

Dann ein Anruf im Frühjahr 2014, der seinem Leben eine Wende geben sollte. Die Internationale Organisation für Migration bot ihm die Teilnahme an einem Fachkräfteprogramm für Deutschland an. Kour Ahmad sagte zu, besuchte einen Lehrgang, bekam Informationen über Deutschland und bestieg im April mit 330 Migranten ein Flugzeug, das in Hannover landete. Von dort aus ging es für zwei Wochen in das Aufnahmelager Friedland und weiter nach Stendal.

„Ich erinnere mich noch an die Ankunft. Wir standen abends vor einem Gebäude, der Taxifahrer stellte unsere Taschen am Straßenrand ab und verschwand.“ Der Wächter habe kein Englisch gesprochen, der Araber kein Deutsch. „Meine Frau weinte, sie dachte wir müssen ins Gefängnis.“

Das Grau verwandelte sich nach und nach in helle Farben, beschreibt der 40-Jährige den neuen Lebensabschnitt in einer Stadt, in der er und seine Familie „angekommen sind“, sich wohlfühlen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Majed Kour Ahmad spricht von durchboxen und kämpfen, um eine kleine Wohnung zu bekommen und diese einzurichten. Auf seinen ersten Integrationskurs musste er sechs Monate warten, büffelte zusätzlich Deutsch, „denn die Landessprache ist der Schlüssel für alles“. Unterstützung fand er bei der Arbeitsagentur und Volkshochschule, bevor er dann zum 1. Oktober 2017 eine Festanstellung von der Stadtverwaltung Stendal erhielt.

Majed Kour Ahmad arbeitet im Hochbauamt. Der Job und das Team gefallen ihm. Die Großen lernen in der Schule, seine jüngste Tochter sei zwei Jahre alt. Was er sich wünscht? Dass seine Frau einen Job als Erzieherin finde und „ich meine Mutter, die in Syrien lebt, endlich wiedersehen kann“.