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Jahrestag Neues Gutachten für tödlichen Unfall

Ein Jahr nach dem tödlichen Unfall auf der Ramelow-Kreuzung in Stendal ist die Ursache noch immer unklar.

Von Wolfgang Biermann 01.06.2018, 23:01

Stendal l Am 01. Juni 2018 ist es genau ein Jahr her, dass sich in der Bruchstraße, an der sogenannten Ramelow-Kreuzung, die korrekt ja nur eine Einmündung ist, ein tödlicher Verkehrsunfall ereignete. Dabei wurde in der Tempo-20-Zone eine 81-jährige Frau als Fußgängerin beim Überqueren der Bruchstraße von einem Paketdienst-Transporter erfasst.

Juristisch ist der Fall noch immer nicht aufgearbeitet. Wie Thomas Kramer, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stendal, der Volksstimme auf Nachfrage sagte, werde derzeit unter neuen Gesichtspunkten ermittelt. Dabei gehe es um die Frage der möglichen Schuld des 34-jährigen Paketdienstfahrers aus dem Jerichower Land. Die Laufrichtung der beim Unfall getöteten Fußgängerin spielt demnach eine entscheidende Rolle.

Nach bisherigen Erkenntnissen überquerte sie die Bruchstraße vom Kaufhaus in Richtung Winckelmannplatz. Doch nach den Angaben des Ehemannes, der sich am Unglückstag in unmittelbarer Nähe seiner Frau befand, wollten beide vom Winckelmannplatz in Richtung Kaufhaus gehen. Diese Aussage habe möglicherweise erheblichen Einfluss auf die Schuldfrage, so Staatsanwalt Kramer. Deshalb müssen alle Zeugen noch einmal befragt werden.

Warum die Aussage des Ehemanns zuvor keine Berücksichtigung fand? Für ihn hat laut Staatsanwaltschaft eine hiesige Anwaltskanzlei erst nach Vorlage des Unfallgutachtens Akteneinsicht verlangt. Demnach sei erst danach erstmals eine zweite Version des Unfallhergangs zur Sprache gebracht worden.

Ob und wann es nun zur Anklageerhebung kommt, sei völlig offen, so der Behördensprecher. Das hänge vor allem von einem jetzt ausgelösten Zusatzgutachten ab, das die umgekehrte Laufrichtung des Opfers in Betracht ziehen soll. Der Unfallsachverständige, dessen Gutachten schon längere Zeit vorlag, sei damit beauftragt worden.

Die Auswertung des Fahrtenschreibers habe „keine gravierend überhöhte Geschwindigkeit ergeben“, zitierte die Volksstimme im Vorjahr einen Polizeisprecher. Staatsanwalt Kramer sprach jetzt sogar von „unter Tempo 20“. Der Fahrer könnte abgelenkt gewesen sein, hatte der Polizeisprecher damals in Betracht gezogen.

Die unübersichtliche Kreuzung gilt trotz des tödlichen Unfalls und eines Folgeunfalls mit einer Verletzten kurze Zeit später nicht als Unfallschwerpunkt. Bis zum Umbau des Winckelmannplatzes und der ihn umfließenden Straßen – Bruchstraße, Kornmarkt, Breite Straße – befand sich in Höhe des Ramelow-Kaufhauses ein Fußgängerüberweg.

Der sei in einem Tempo-20-Bereich aber nicht zulässig, hieß es von Seiten der Verwaltung auf einer Stadtratssitzung im Januar dieses Jahres zu diesem Thema. Im Rathaus setze man alternativ zu teuren baulichen Maßnahmen allein auf das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme.

Die Volksstimme hat unabhängig von diesem Fall mit dem Potsdamer Unfallanalytiker Carsten Wegner über die Gestaltung des Winckelmannplatzes und der umliegenden Straßen gesprochen. Der Experte, der die Gegebenheiten genau kennt, sieht die Gestaltung des Winckelmannplatzes aus städtebaulicher Sicht als gelungen an. Allerdings hätte bei der Verkehrsplanung die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden, kritisiert Wegner.

So wurde eine durchgehende bauliche Abgrenzung zur Marienkirche abgebaut und durch einzelne steinerne Pylone ersetzt. Fußgängern im Bereich Winckelmannplatz/Bruchstraße werde suggeriert, dass das mehr oder weniger allein ihr Bereich sei. Autofahrern würde zudem durch die unterschiedliche farbliche Gestaltung der Fahrbahnen fälschlich der Eindruck einer Vorfahrtsregelung in Form einer abknickenden Hauptstraße – Bruchstraße/nördliche Breite Straße – vermittelt.

Dabei gelte mangels anderer Regelungen allein das Grundprinzip „rechts vor links“. Dessen Umsetzung sieht Wegner an dieser Stelle aber als schwierig an. Wenn sich beispielsweise aus allen drei Fahrtrichtungen zugleich, teils abbiegewillige, Fahrzeuge nähern, komme keiner wirklich von rechts.

Da sei Fahrschulwissen gefragt, das zumeist vergessen oder – wie bei Radfahrern – erst gar nicht vorhanden sei. Dazu die Fußgänger, die oftmals planlos in gesamter Breite über die Straße gehen. Eine Debatte im Stadtrat zur Verbesserung der Situation war wie berichtet im Januar im Sande verlaufen.