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Jobperspektive Glücksfall in der Stendaler Bahnhofsmission

Raus aus Hartz IV: Manuela Krüger aus Stendal hat endlich wieder eine feste Stelle. Zumindest für fünf Jahre.

Von Nora Knappe 07.09.2019, 01:01

Stendal l „Ich komme gleich mit raus.“ Nach einer halben Stunde, die unser Gespräch gedauert hat, zieht es Manuela Krüger wieder ins Draußen-Geschehen am Bahnsteig. Sich umschauen, einen Überblick verschaffen, Situationen erkennen, helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Die 51-Jährige fühlt sich wohl in ihrer neuen Rolle – seit 1. Juni dieses Jahres arbeitet sie in der Stendaler Bahnhofsmission. Festangestellt für fünf Jahre. Für Manuela Krüger ist das mehr als eine Perspektive, es ist ein Stück Befreiung.

Zehn Jahre war die Stendalerin Hartz-IV-Aufstockerin, arbeitete einige Stunden als Verkäuferin im Einzelhandel, ihrem gelernten Beruf. Über eine begleitende Maßnahme kam sie im April vorigen Jahres als Praktikantin zur Bahnhofsmission – und das, was sie dort zu tun hatte, wie sie sich einbringen konnte, gefiel ihr. Ihrer Chefin, Bahnhofsmissionsleiterin Annette Seher, wiederum gefiel die besonnen-anpackende, sachlich-herzliche Art von Manuela Krüger.

Also wurde aus dem Praktikum ein Weitermachen als Ehrenamtliche. Die Arbeit in der Bahnhofsmission war für Manuela Krüger dabei gar nicht so fremd, hatte sie doch schon einmal für ein Jahr im Kidsclub Stendal gearbeitet. „Da habe ich gemerkt, dass das Soziale mein Ding ist.“ Nicht zuletzt habe ja auch der Beruf der Verkäuferin durchaus eine soziale Komponente, oder? „Eben“, kommentiert Krüger mit der ihr eigenen lakonischen Note.

Im März hat Annette Seher dann von der neuen Förderung durch die Arbeitsagentur erfahren und überzeugte erst den Kirchenkreis als Träger der Stendaler Bahnhofsmission von der Notwendigkeit einer festen Mitarbeiterin, bevor sie sich alsdann ins bürokratische Zeug legte. „Tja, und im Juni konnte Frau Krüger hier anfangen. Das passte perfekt.“ Denn Seher war für drei Monate außer Dienst.

In dem sprichwörtlichen kalten Wasser, in das Manuela Krüger als Stellvertreterin da geworfen wurde, kollabierte sie keineswegs, sondern bewegte sich geschmeidig und beinahe routiniert. „Es bringt ja nichts, sich stressen zu lassen, lieber alles immer ruhig angehen.“ So gab sie unbewusst den nun ihr unterstellten Ehrenamtlichen das Gefühl, dass auch ohne die vertraute Chefin alles seinen Gang geht. Manches Unvorhergesehene passiert dennoch, gerade jetzt, da der Stendaler Bahnhof durch die Bauarbeiten bei vielen Reisenden für Verwirrung und Ratlosigkeit sorgt oder eben so manche bauliche Hürde bedeutet. „Gerade Ältere sind froh, dass sie uns hier finden und wir ihnen helfen“, gibt Krüger eine der Erfahrungen der letzten Wochen wieder.

Die Arbeit am Gleis, der Kontakt zu den Menschen, das Helfen sind Manuela Krüger sehr wichtig – die Arbeit im Büro, im Organisatorisch-Administrativen ist eine ebenso verantwortungsvolle wie herausfordernde Ergänzung. „Die Mischung stimmt“, sagt sie, „aber nur im Büro, das wäre nichts für mich.“

Annette Seher wiederum, die aufgrund einer Schwer­behinderung selbst nur wenige Stunden arbeiten kann, ist froh über die zusätzliche Kraft. „Es ist dadurch vor allem eine Konstante in der Ehrenamtsarbeit möglich und eine Entlastung für die anderen im Team. Frau Krüger ist ständig vor Ort, steckt mittendrin in der Arbeit am Gleis, sie ist das perfekte Bindeglied zwischen Ehrenamt und Leitung, die Schnittstelle zwischen Gleis und Büro.“

Doch wie gesagt, beide Frauen sehen in dieser auf fünf Jahre begrenzten 75-Prozent-Stelle noch mehr: „Sie ist fünf Jahre raus aus dem Hartz-IV-Strudel“, sagt Seher und es schwingt eine aus Bestürzung über dieses verfahrene System resultierende Erleichterung mit. Die spürt auch Manuela Krüger selbst. „Herrlich!“, sagt sie frei heraus auf die Frage, wie es ihr nun damit geht. „Ich kann über mein Leben wieder selber entscheiden, muss nicht mehr jeden Schritt begründen, meine Tochter wird nicht mehr finanziell belangt.“

Den bürokratischen Schatten, dass sie, sollte sie nach den fünf Jahren wieder arbeitslos werden, sofort wieder in Hartz  IV rutschen würde, schiebt sie erst einmal beiseite. Vielleicht, so das Gedankenspiel von Leiterin und Stellvertreterin, geht es ja danach weiter mit Manuela Krüger in der Bahnhofsmission.