Zeitzeugen erinnern sich an den 12. Oktober 1989 "Kampfgruppen in Reih und Glied"
Sonntag vor 25 Jahren, am 12. Oktober 1989, fand der erste Schweigemarsch von St. Anna in die Petrikirche statt. Zeitzeugen erinnern sich an dieses Ereignis.
Stendal l "Am 12. Oktober platzte die Petrikirche aus den Nähten", erinnert sich der damalige Pfarrer Reinhard Creutzburg im Gespräch mit der Volksstimme. 150 Menschen mögen es auf den Kirchenbänken und in den überfüllten Seitenschiffen und dem Altarraum gewesen sein. Zu ihnen gehörten jene, die in einer Prozession von der katholischen Kirche zur Petrikirche gezogen waren. Im ersten Schweigemarsch Stendals in den Herbstwochen des Jahres 1989.
Kerzen-Demo hätte genehmigt werden müssen
Nach der Demonstration am 9. Oktober in Leipzig, bei der sich bis zu 100000 Teilnehmer einer massiven Staatsmacht aus NVA, Kampfgruppen und Volkspolizei gegenübersahen, war beschlossen worden, die Friedensgebete wöchentlich abzuhalten. Am 20. Juli hatte sich erstmals eine Handvoll Menschen in der Petrikirche versammelt, darunter Erika Drees und Ingrid Fröhlich.
Der damalige Propst Eberhard Schmidt schrieb seine Erinnerungen 2009 für den Band "Vom Gebet zur Demo" nieder. "Am Donnerstag, dem 12. November, haben wir Stendaler das erste Mal gewagt, mit Kerzen auf die Straße zu gehen. Wir waren eine kleine Schar von rund 30 Leuten. Der evangelische und der katholische Propst - wir beide - gingen voran. Unser Weg führte von der katholischen Kirche St. Annen auf Nebenstraßen zur evangelischen Petrikirche. Wir mit unserer kleinen Kerzen-Demonstration waren noch unsicher und ängstlich. Erlaubt waren ja gottesdienstliche Handlungen nur in überdachten kirchlichen Räumen", heißt es darin. Jede Aktion auf der Straße hätte einer Genehmigung bedurft, die nicht erteilt worden wäre. Ohne Genehmigung in Gruppen auf der Straße aufzutreten, galt als "Zusammenrottung und Anstiftung zum Umsturz". Ehe der Tross loszog, sang er den Kanon "Dona nobis pacem". Jeder hatte in einer Hand die brennende Kerze, mit der anderen schützte er sie vor dem Wind.
Es war gegen 19.50 Uhr bereits dunkel, als die Teilnehmer einen unbeleuchteten Parkplatz überquerten. "Wir hatten den Eindruck, dass zur linken und zur rechten Kampfgruppen in Reih und Glied standen, eine Art Hilfspolizei, die die SED aus den volkseigenen Betrieben zusammengezogen hatte", beschreibt Schmidt.
Auch Ingrid Fröhlich-Groddeck kann sich sehr genau an jenen Oktobertag erinnern, sieht aber die Wurzeln der Herbstbewegung schon Anfang der 80er Jahre, als in Ost-Berlin eine Kerzenkette zwischen den diplomatischen Vertretungen der Sowjetunion und der USA zerschlagen wurde. "Aus der Empörung darüber fanden sich 1983 spontan Menschen in Stendal zum anfangs wöchentlichen Friedensgebet in der Petrikirche zusammen. Dort lernte ich wunderbare Menschen kennen. Das war die Keimzelle für den späteren Friedenskreis Stendal", schildert Fröhlich- Groddeck.
In Stendal fiel eine Art Startschuss
Die Teilnehmer des Schweigemarsches erreichten die Petrikirche unbehelligt. "Wenige Tage später, am 16. Oktober, besuchte mich der Leiter des Volkspolizeikreisamtes", erinnert sich Schmidt weiter, "er begrüßte mich mit den kühlen Worten: ,Sie hatten am Donnerstagabend Premiere`. Ich stutzte. Der kleine Pilgerweg mit 30 Personen auf Nebenstraßen war von den ,überaufmerksamen` Polizeiorganen als ungenehmigte Demon- stration registriert worden. Wir Kirchenleute hatten in Stendal für den Weg auf die Straße den Startschuss gegeben."
Von Donnerstag zu Donnerstag wurde die Zahl der Teilnehmer am Friedensgebet größer. Schließlich fand es im Dom statt. Von Woche zu Woche wuchs auch der anschließende Demonstrationszug. Im November waren es mehrere tausend Menschen. Dann fiel die Mauer.