Neues Museum Bitte alles anfassen!

Im neuen Familien-Museum in Stendal gibt es die Antike zum Ausprobieren und Selbermachen. Das begeistert nicht nur Kinder.

Von Nora Knappe 04.08.2019, 05:00

Stendal l Das Wort „anschaulich“ ist im neuen Familienmuseum des Winckelmann-Museums in Stendal keine hohle Phrase. Und man müsste, um das Ganze noch treffender zu beschreiben, auch das Wort „anfasslich“ hinzuerfinden. Denn genau darum geht es hier: Man kann die sehr fasslichen Dinge nicht nur anschauen, sondern die sehr anschaulichen Dinge auch anfassen. „Wir zeigen hier keine Filme, man soll das Museum mit allen Sinnen erleben und benutzen und die eigene Kreativität entwickeln“, sagt Professor Max Kunze von der Winckelmann-Gesellschaft und begegnet damit der immer mal wieder aufflackernden Kritik, wie undigital das neue Museum doch geworden sei.

Der Wissenschaftler Kunze, dem das ein oder andere Vorurteil wohl ein Elfenbeinturm-Dasein bescheinigt, ist alles andere als weltfremd und nimmt solcherlei Mainstream-Automatismen gelassen. Über Bildschirme wischen und Knöpfe drücken macht noch keine Museumspädagogik, so das Credo. Hier soll und kann man ein Stück Antike und das Lebensgefühl dieser Zeit im besten Sinne nachempfinden können – anfassen, riechen, hören, ausprobieren.

Das geht schließlich ganz individuell, als Familie oder auch nur zu zweit oder aber in einer Gruppe. Da wird man dann von Hannes Ewald durch die Ausstellung geführt. Und das heißt keineswegs, dass man dem jungen Mann dösig hinterherschlurft und sich zutexten lässt, sondern man kann selbst ziemlich aktiv werden. Sollte man sogar, sonst entgeht einem nicht nur der Spaß, sondern auch der ein oder andere Aha-Effekt. Wer zunächst lieber nur guckt, was die anderen machen, ist garantiert kurz darauf selbst mit vollem Eifer dabei.

Denn will man etwa nicht auch einmal die Boulder-Knubbel hochklettern, um in den Vulkan zu spähen? In einer lustigen oder kämpferischen Szene im Schattentheater mitspielen? Den eigenen Namen in Hieroglyphen schreiben oder ausprobieren, wie ein Abakus funktioniert? Fühlt man sich denn nicht herausgefordert, das Getreide mit einem echten Drehmahlstein zu pulverisieren oder die schwere Last im Eimer mit einem technischen Trick hochzuhieven? Und ist es vielleicht nicht reizvoll, einmal auf antiken Instrumenten zu musizieren oder eine römische Frisur zu kreieren? Und will man es sich etwa entgehen lassen, am Marktstand ums Gemüse zu feilschen?

Auch wenn am Tag unseres Besuches bei Hannes Ewald die avisierte Gruppe ausbleibt, kann man erahnen, was für ein Wuseln und Staunen hier herrschen muss, wenn er die Kinder begleitet. „Das ist immer volles Programm, langweilig wird es da nicht“, sagt Ewald, den es ungemein freut, wie begeistert die Kinder und auch deren Eltern und Großeltern immer sind. „Antike Mode und Spiele sind die am meisten gebuchten Veranstaltungen, und im Schattentheater haben alle Altersklassen ihren Spaß.“

Seit März 2019 ist Hannes Ewald für das Familienmuseum des Winckelmann-Museums verantwortlich. Nach einigen beruflichen Schlenkern – die er keineswegs als Odysseus‘sche Irrfahrt betrachtet – ist der 28-Jährige nun wieder in der Heimat. Aufgewachsen in Hämerten, studierte er Politik und Verwaltung in Potsdam, dann für den Master Geschichte in Dresden. Ein Praktikum im damals noch unsanierten Winckelmann-Museum hat ihm den ersten inneren Wink gegeben: „Das wäre was für mich.“

Nach einer kurzen Zeit als selbstständiger Historiker in Berlin wurde er zum Quereinsteiger ins Lehramt und unterrichtete ein halbes Jahr an der Diesterweg-Sekundarschule in Stendal. Bis sich die Stelle im Museum auftat. „Das wollte ich mir nicht entgehen lassen“, sagt Ewald, der sich nun angekommen fühlt und dem es Freude bereitet, Kindern Geschichte zu vermitteln und erfahrbar zu machen. „Ich war selber erstaunt, wie gut es klappt“, sagt er heiter.

Ständige Weiterbildung gehört für ihn dazu, neue Ideen zu entwickeln ebenso. Freilich hat er schon selbst alles im Familienmuseum getestet. „Sowieso eigentlich jeden Tag, ich muss ja gucken, ob alles nach wie vor funktioniert.“ Das ist zur Not eine gute Ausrede, um einfach mal wieder unverdächtig zu spielen. Aber auch so ist er einfach gern im Museum, das war schon als Kind so. „Geschichte hat mich schon immer interessiert. Und es gibt so viele tolle Museen auf der Welt.“

Das Konzept und die Gestaltung des völlig neu strukturierten Familienmuseums sind im Wesentlichen dem Geist Max Kunzes entsprungen, seinem Ideenreichtum. „Ich bin viel herumgekommen und habe in den verschiedensten Kindermuseen immer auf deren Prinzipien geachtet“, sagt der Professor, der als fast 75-Jähriger noch Kind genug ist, hier „alles ausprobiert“ zu haben und „überall durchgekrabbelt“ zu sein. Ein besonderes, ein stilles Vergnügen findet er daran, die Musikinstrumente zur Hand zu nehmen und zu versuchen, sich in den Rhythmus der auf Knopfdruck zu hörenden Melodien einzufügen.

Und das ist keineswegs albern oder kindisch, sondern das, was ein gutes Familienmuseum wohl ausmacht: Dass sich Jung und Alt wohlfühlen und darin wiederfinden und am Ende irgendwie die Zeit vergessen.