1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Damit Gewalt nicht verborgen bleibt

Opferhilfe Damit Gewalt nicht verborgen bleibt

Das Krankenhaus Stendal vernetzt sich mit der Opferhilfe. Ärzte sind mit in der Verantwortung, häusliche Gewalt zu entlarven.

Von Nora Knappe 05.12.2019, 00:01

Stendal l Nicht jede Verletzung und jede Unfallgeschichte nur so hinnehmen, sondern nachfragen – dafür möchte Dr. Silke Naumann d‘ Alnoncourt die Ärzte und Pfleger im Johanniter-Krankenhaus Stendal sensibilisieren, vor allem in der Notaufnahme. „Wir sehen die Opfer als Erste. Und vor allem bei denen, die nicht sagen, wie ihnen das passiert ist, ist es wichtig, genauer hinzuschauen“, sagt die Assistenzärztin für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie. Sie sehe sich und ihre Kollegen da stark in der Verantwortung.

Für dieses Genauerhinschauen hat sie Unterstützer gefunden – nicht nur in ihrem Arbeitgeber, der großes Interesse bekundet habe, sondern insbesondere in der Projektgruppe „Gemeinsam gegen Gewalt“ im Landkreis Stendal zu der unter anderem das Frauenhaus und die Beratunggstellen des Vereins „Miß-Mut“ gehören.

Margot Nawitzki vom Frauenhaus Stendal sieht in der Vernetzung mit dem Krankenhaus nicht etwa nur einen kleinen Schritt, sondern „einen großen Anfang“. Könnte sie Ausrufezeichen mitsprechen, an dieser Stelle stünde eines. „Dass wir damit nun einen Ansprechpartner im Krankenhaus haben, ist sehr wichtig, das geht dann im Notfall auch mal schnell unbürokratisch.“ Janin Schlieker von Miß-Mut hebt hervor, dass „wir damit erstmals medizinische Expertise für unsere Projektgruppe gewinnen konnten“. Die Anonymität des Krankenhauses könne es vielen Gewaltopfern möglicherweise erleichtern, sich anzuvertrauen. Zumal die Ärztin in Berlin lebt und hier keinerlei private Verflechtungen hat, die ein Opfer argwöhnisch machen könnten.

Im Februar wechselte Naumann d‘ Alnoncourt von der Charité ans Stendaler Krankenhaus und hat festgestellt, dass hier in der Notaufnahme „die Opferhilfe nicht so vorhanden war, wie ich es kannte. Es fehlte die Vernetzung, und wenn man die nicht hat, kann man Hilfe nicht gut strukturieren.“

Dazu gehört natürlich auch das Wissen auf Seiten des ärztlichen und des pflegenden Personals. „Es gibt einfach Unsicherheiten und Hemmungen, eine Unkenntnis, wie genau man helfen könnte, welche rechtlichen Schranken es gibt.“ Ganz abgesehen von der offenbar weitverbreiteten Fehleinschätzung: „Häusliche Gewalt? Hier in der Altmark? Das gibt es doch höchstens in der Großstadt.“ Eben nicht, wie Janin Schlieker und Margot Nawitzki aus ihrer schon Jahrzehnte währenden Arbeit in der Opferberatung und -hilfe wissen.

Um solcherlei Unwissenheit und Unsicherheit zu beseitigen, werden nun gemeinsam mit Frauenhaus und Miß-Mut Schulungen im Krankenhaus angeboten. Die erste fand Anfang November statt, weitere sollen regelmäßig folgen.

„Ja, es ist ein unangenehmes Thema“, gesteht Naumann d‘ Alnoncourt ein, „vor allem wenn man erlebt, dass eine Frau wieder und wieder geschlagen wird und wieder und wieder zu ihrem Partner zurückgeht.“ Und doch sei es wichtig, dann wieder und wieder Hilfe anzubieten. Und wichtig sei eben auch, ergänzt Schlieker, „behutsam, aber stetig nachzufragen, ob häusliche Gewalt die Ursache der Verletzungen sein kann. Der Eindruck, gefragt worden zu sein, bleibt bei der Frau. Dann kann es sein, dass sie beim nächsten Mal erzählt.“

Ein ganz sichtbares Zeichen der Vernetzung und beabsichtigten Sensibilisierung sind Plakate, die im Krankenhaus angebracht werden, vor allem auf den Toiletten, weil man hier in Ruhe draufschauen kann, ohne sich beobachtet zu fühlen. Es sind auf den ersten Blick grafisch ansprechende Fotos, eine Sofahälfte ist zu sehen, vor floral wirkender Tapete – das Ornament entpuppt sich als geballte Faust. Der Spruch „Manchmal sieht man es erst auf den zweiten Blick“ verdeutlicht die subtile Botschaft. Im Weiteren finden sich Namen und Telefonnummern der Stellen, bei denen man in der Altmark Hilfe findet. „Mir war es wichtig, ein Plakatmotiv zu finden, das nicht auf eine bestimmte Opfergruppe abzielt“, erklärt Naumann d‘ Alnoncourt. „Es sollen sich alle angesprochen und ermutigt fühlen, sich Hilfe zu suchen, also zum Beispiel auch der homosexuelle Jugendliche, der in der Schule diskriminiert wird.“

Mit Blick in die Zukunft dieser Kooperation zwischen Krankenhaus und Gewaltopferhilfe spricht Janin Schlieker noch einen Wunsch aus: „Es wäre wichtig, diesen Aspekt auch schon in die medizinische Ausbildung mit reinzubringen, damit das Thema den gleichen Stellenwert bekommt wie andere Ausbildungsinhalte.“