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Justiz Polizei verhaftet Angeklagten im Gericht

Der 35-Jährige stand „nur“ wegen einer Schwarzfahrt unter Alkohol vor Gericht - dort wurde er noch wegen einer anderen Sache verhaftet...

Von Wolfgang Biermann 12.07.2020, 23:01

Stendal l Spektakuläre Unterbrechung eines Berufungsprozesses vor dem Landgericht Stendal wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Trunkenheit im Verkehr: Mitten in die Verhandlung platzen drei Polizisten und verkünden dem verdutzt dreinschauenden Angeklagten – unter Ausschluss der zwischenzeitlich des Saales verwiesenen Zuschauer – einen Haftbefehl.

Während des sich sofort anschließenden Haftprüfungstermins bleibt es dabei, wie der Vorsitzende Richter Gundolf Rüge verkündet: „Der Haftbefehl wird wegen Verdunkelungsgefahr aufrechterhalten.“

In der Begründung werden die schwer wiegenden Vorwürfe gegen den 35-Jährigen deutlich: Der Mann, ein seit 2016 in Stendal lebender und inzwischen rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber mit russischer Staatsbürgerschaft, soll wenige Tage vor dem Prozess der Ehefrau eines Belastungszeugen gedroht haben. Wenn ihr Mann gegen ihn vor Gericht aussage, werde sie „nach Tschetschenien verschleppt und dort verkauft“. In Todesangst habe die Frau ihren Mann informiert und Anzeige bei der Polizei erstattet, heißt es weiter.

Während der Begründung dafür, weshalb der Haftbefehl gegen ihn aufrechterhalten bleibt, gebärdet sich der Angeklagte so renitent, dass die Polizeibeamten ihm Hand- und Fußfesseln anlegen. Richter Rüge droht – zunächst mit Ordnungsgeld, wenig später auch mit dem „Entfernen aus dem Gerichtssaal“.

Beides zeigt keine Wirkung. Dann beantragt der Verteidiger eine Pause, um sich mit seinem Mandanten zu beraten: „Das Temperament läuft über.“ Doch er vertraue auf dessen Einsichtsfähigkeit: „Wenn er es rafft, wird er still sein.“

Nach der Verhandlungspause gibt sich der in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny geborene und noch immer kaum Deutsch sprechende verheiratete Familienvater dann tatsächlich ruhiger.

Das ihm vorgeworfene Fahren mit einem Radlader im Stadtseegebiet am 2. Februar vorigen Jahres – ohne Fahrerlaubnis und mit 1,5 Promille Blutalkoholwert – gibt er zwar zu; er sieht aber kein Unrecht darin. Denn er sei nicht im öffentlichen Verkehrsraum unterwegs gewesen; dem widerspricht der Belastungszeuge.

Den Promillewert erklärt der 35-Jährige mit Restalkohol. Fatal: Eine vom Zeugen gerufene Polizeistreife findet das achtjährige Kind des Angeklagten auf dessen Schoß sitzend vor – beim Fahren des Radladers. Woher er den Zündschlüssel hatte, vermag der Beschuldigte nicht zu erklären; er „steckte“ angeblich.

Das Amtsgericht Stendal hatte den bereits achtfach wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilten Mann 2019 einen „krassen Bewährungsversager“ genannt und wegen der nun verhandelten Fahrt zu acht Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.

Dagegen kämpft der 35-Jährige vor dem Landgericht in zweiter Instanz. Zumindest bis zum Fortsetzungstermin sitzt er erst einmal in Haft. Am kommenden Freitag, 17. Juli, wird das Urteil erwartet.