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Ramadan Soziales Fasten zum Ramadan

Die Corona-Krise trifft auch Religionsgemeinschaften. Der heute beginnende Ramadan steht unter dem Eindruck der Sicherheitsvorkehrungen.

Von David Boos 23.04.2020, 09:00

Stendal l Wer dieser Tage die Moschee der Islamischen Gemeinde Stendal an der Lucas-Cranach-Straße besucht, trifft auf ein ungewöhnliches Bild: leere Parkplätze, kaum Menschen auf der Straße, nur zwei Kinder spielen Fußball auf der Wiese. Ungewöhnlich deshalb, weil die Moschee nicht nur ein Gebetshaus, sondern auch der Mittelpunkt des sozialen Lebens der sunnitischen Gemeinde ist. Doch die Corona-Krise hat diesem Gemeinschaftsleben einen Strich durch die Rechnung gemacht, was den Muslimen gerade im heute beginnenden Ramadan schmerzlich bewusst wird.

„Die Leute sind sehr traurig über die Einschränkungen“, erklärt uns der Imam Moustafa Hassanein, „aber wir alle respektieren die Regeln. Die Gesundheit steht über allem.“ Der gebürtige Ägypter ist seit sechs Jahren in Deutschland, und schloss im Dezember seine Ausbildung zum Mediengestalter Bild & Ton beim Offenen Kanal Stendal ab. Während unseres Besuchs stehen die Videoaufnahmen seines Koranunterrichts noch aus, den er dieser Tage über Facebook an die Mitglieder seiner Gemeinde verbreiten möchte. „Die täglichen Gebete und das Koranlesen können zu Hause stattfinden“, erklärt Hassanein, „doch der Koranunterricht ist nicht zu ersetzen.“

Die Freitagsgebete fallen bereits seit Wochen aus, die ramadanspezifischen Abendgebete (Tarawih) werden nun auch in den Kreis der Familie verlegt. Wenngleich das Beten in der Moschee „soviel zählt wie 27 mal zu Hause zu beten“, so ist es eine der Grundsäulen des Islam, dass „die ganze Welt Moschee sein kann“ und somit die meisten Gebete auch im privaten Umfeld ausgeführt werden können.

Der Ramadan ist normalerweise auch „ein sozialer Monat“, so würde man sich zum allabendlichen Fastenbrechen, dem Iftar, oft gegenseitig besuchen, sagt Moustafa Hassanein. Diese Besuche fallen bedingt durch Corona nun aus. Stattdessen greifen auch die Muslime häufiger zum Telefon, um miteinander in Kontakt zu bleiben. Der Imam muss mittlerweile seine Stimme schonen, da er täglich „mehrere Stunden“ mit den Mitgliedern seiner Gemeinde telefoniert. All das, ebenso wie die Videoaufnahmen in der Moschee, macht er ehrenamtlich.

„Besonders schwierig ist die Situation für Muslime von außerhalb“, stellt der 56-jährige mit Bedauern fest. Ihnen fehlt der „Anschluss an die Gemeinschaft“, ähnliches gilt für die Kinder, die einander nun „nicht mehr zum Spielen besuchen können“.

Der soziale Zusammenhalt wird in der islamischen Gemeinde traditionell groß geschrieben, umso größer ist nun der Verzicht. Auch der Integrationsunterricht von Flüchtlingen, der ansonsten ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Islamischen Gemeinde ist, kann nun bis auf Weiteres nicht stattfinden. Ein umfassender Kontakt mit allen Mitgliedern der Gemeinde ist aber, bedingt durch die Ehrenamtlichkeit, schlichtweg nicht realisierbar.

„Wir warten auf schriftliche Informationen vom Gesundheitsamt“, sagt Bagdad Hani, Vorstandsmitglied der islamischen Gemeinde. Der 42-jährige Koch betont mehrmals, wie sehr man bestrebt sei „zu helfen“ und „aufeinander zu achten“.

Die Moschee ist seit dem 18. März geschlossen und dabei wird es vorerst auch bleiben, auch wenn demnächst womöglich Gottesdienste unter Auflagen ermöglicht werden. „Die Abstandsregeln sind für uns hier nicht einzuhalten“, so Hani. Wenn die Leute kommen, dann wird es unmöglich „zu kontrollieren, wer reinkommt, und wer nicht“. Die Entscheidung, „wen man ausschließt“, möchte niemand treffen, daher gilt die Devise „ganz, oder gar nicht.“

Immer wieder betonen die beiden Muslime, fast gebetsmühlenartig, dass man ein „Teil der Gesellschaft“ sei, und dass „alle die Einschränkungen respektieren“. Man könnte es auch, so der Imam, als „eine Prüfung Gottes“ sehen.

Wie dem auch sei, es scheint fast, dass der Fastenmonat der Muslime durch Corona um eine zusätzliche Komponente erweitert wird: das soziale Fasten. Dies nehme man aber, so Hani, in Kauf, denn man hofft, dass „nächstes Jahr die Moschee zum Ramadan wieder geöffnet ist“. Und damit dann auch wieder alle zusammen kommen können, müsse man eben jetzt „die Gesundheit über alles stellen“.

Während der Imam seine Position vor der Kamera einnimmt, und seine Lektionen auf Arabisch verkündet, verabschieden wir uns wieder. Der Ramadan beginnt, das soziale Fasten geht weiter.