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Rettungsdienst Von der Rennpiste in die Leitstelle

Standardisierte Notrufabfrage, eCall, neues Schichtsystem - die Leitstelle Altmark steht in diesem Jahr vor einigen Herausforderungen.

Von Volker Langner 19.05.2017, 01:01

Stendal l Wildwechsel. Der Autofahrer will ausweichen, verreißt das Lenkrad, kommt von der Fahrbahn ab und prallt gegen einen Baum. Sekunden später löst der Wagen selbstständig Alarm aus, informiert die Integrierte Leitstelle Altmark in Stendal über den Unfall, gibt Auskunft über seinen Standort, die Zahl der Fahrzeuginsassen und ob der Airbag ausgelöst wurde. Klingt nach Zukunftsmusik, oder?

„Ab 2018 müssen alle Neuwagen mit dem System ausgerüstet sein, dass nach einem Unfall eine automatische Alarmierung vornimmt“, berichtet Matthias Wollenheit, der die Stendaler Leitstelle seit einigen Monaten führt. Gegenwärtig bereiten sich der 36-Jährige und seine 19 Mitstreiter auf die Einführung des sogenannten automatischen eCall-Systems – e steht für Emergency (Notfall), Call für Ruf – vor. Eine anspruchsvolle Aufgabe.

Vor anspruchsvollen Aufgaben scheut sich Wollenheit nicht. Im Gegenteil. Der ausgebildete Rettungsassistent, der später ein Studium zum Ingenieur für Rettungswesen und Brandschutz abschloss, avancierte als 19-Jähriger in seiner Heimatstadt Werben zum damals jüngsten Leiter einer freiwilligen Feuerwehr in Sachsen-Anhalt. 2006 ging er für 16 Monate in die Vereinigten Arabischen Emirate, um dort den Aufbau von Wehren zu unterstützen und vor allem Brandschützer auszubilden.

Nach seiner Rückkehr nahm er sein Studium auf. In seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit dem Aufbau und der Entwicklung einer Test- und Rennstrecke, die Autohersteller Porsche nahe des italienischen Lecce (Apulien) plante und auf der unter anderem Prototypen auf Herz und Nieren geprüft werden sollten. „Letztlich habe ich das Angebot erhalten, das Konzept auch vor Ort umzusetzen“, blickt der Altmärker zurück, der es annahm und als Leiter der Feuerwehr und als Sicherheitsbeauftragten agierte.

Nicht nur die „interessante“ Arbeit hat er dabei geschätzt. „Im Ausland tätig zu sein, ist schon reizvoll“, sagt Matthias Wollenheit und fügt schmunzelnd an: „Im Süden Italiens ist es deutlich sonniger als in der Altmark.“ Zudem habe ihm die Lebensauffassung der Italiener gefallen, ihre entspannte Art. Sie würden das Leben und sich selbst nicht so wichtig nehmen, so Wollenheit. „Auch wenn die Bedingungen nicht die einfachsten sind, regiert bei den Italienern der Optimismus.“

Dreieinhalb Jahre verbrachte der Werbener in Italien. Dann stieß er auf die Stellenausschreibung für die Leitstelle Altmark. „Ich wollte irgendwann zurück. Immerhin war ich 2000 Kilometer weg von der Heimat, von den Freunden und der Familie“, begründet Matthias Wollenheit seine Bewerbung und freute sich dann auch über die Zusage – und über eine neue Herausforderung.

In der Leitstelle zeichnet er unter anderem für die Personalverwaltung verantwortlich, also für Dienst- und Urlaubsplanung seiner 19 Mitarbeiter – 18 Disponenten und ein Systemadministrator. Keine leichte Aufgabe, läuft doch die Leitstelle im Schichtsystem 365 Tage rund um die Uhr.

Apropos Schichtdienst. Nachdem es in der Vergangenheit Probleme und auch Kritik gab, wurde das System in der Woche, also von Montag bis Freitag, von zwei auf drei Schichten umgestellt. „Die Mitarbeiter hier haben einen stressigen Job. Sie sollen sich wohl fühlen. In diesem Jahr muss sich das neue Schichtsystem beweisen“, macht Matthias Wollenheit klar, der mit Segeltouren vom angesprochenen Stress entspannen will. Diese Hobby hat er in Italien für sich entdeckt, sich inzwischen ein Boot zugelegt und eine Fahrt zur und auf der Müritz im Visier.

Um die 100.000 Anrufe gehen jährlich bei der Leitstelle ein. „Für uns kommt es darauf an, in kürzester Zeit das passende Rettungsmittel auszuwählen und die notwendige Zahl an Rettern auf den Weg zu schicken“, bringt Wollenheit die Aufgabe der Leitstelle auf den Punkt.

Nach zwölf Minuten müssen Rettungswagen und Feuerwehr bei einer Alarmierung vor Ort sein, ein Notarzteinsatzfahrzeug nach 20 Minuten; das schreibt das Rettungsdienstgesetz vor. „Sicher sind wir dafür nicht allein verantwortlich, aber der Grundstein wird in der Leitstelle gelegt“, macht Wollenheit deutlich. So arbeitet die Leitstelle mit 341 Feuerwehren in den beiden Altmarkkreisen zusammen, muss damit über deren Einsatzfähigkeit auf dem Laufenden sein.

Beim Gros der Einsätze, die die Leitstelle auslöst, werden Rettungs- und Notarzteinsatzfahrzeuge auf die Reise geschickt – etwa 35 000-mal im Jahr. Das entspricht gut einem Drittel der jährlichen Einsätze. Hinzukommen kommen 2600 Alarmierungen von Feuerwehren. Und dann gehen noch Anrufe ein, für die die Leitstelle nicht der richtige Ansprechpartner ist – ein Vielzahl: ein Anrufer klagt über Schnupfen, ein anderer meldet, dass eine Ente seit Stunden still im Teich sitzt, befürchtet sie könne nicht mehr fliegen.

Auch Parkplatzrempler, bei dem lediglich ein Auto eine Delle davon trug, wurden gemeldet. „Wir wurden auch schon mal angerufen, weil jemand einen Termin beim Schulamt haben wollte, aber nicht wusste, an wen er sich wenden muss“, erzählt Matthias Wollenheit.

Auch das ist Alltagsgeschäft in der Leitstelle. Noch nicht Alltag ist die sogenannte standardisierte Notrufabfrage. Noch nicht. „Wir wollen sie in diesem Jahr einführen, um die Alarmierungen noch effizienten zu gestalten“, berichtet Wollenheit. Diese Notrufabfrage ist ein computergestütztes Hilfswerkzeug für die Disponenten, das in einen Alarmierungsvorschlag mündet.

Neben dem eCall-System ist dies die zweite Neuerung, die die Integrierte Leitstelle Altmark 2017 einführen will.