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Schäferei 41 tote Schafe nach Wolfsangriff

Vier Jahre lang hatten die Tiere der Schäferei Roloff Ruhe vor dem Wolf. Nun schlug das Raubtier zu. Die traurige Bilanz: 41 tote Schafe.

Von Rudi-Michael Wienecke 27.08.2020, 01:01

Sandbeiendorf/Loitsche l Einen Schäfer haut in der Regel bei seinen Schafen nichts so schnell aus den Socken. Was allerdings Vater Joachim und Sohn Achim Roloff auf ihrer morgendlichen Herden-Kontrolltour bei Loitsche am Ohredeich vorfanden, brachte sie doch aus der Fassung. Diese Weide glich einem regelrechten Schlachtfeld.

In der Nacht zum Sonnabend brachen ein oder mehrere Wölfe in die Herde ein. Die Raubtiere müssen in einen regelrechten Blutrausch gefallen sein. Ihre Opfer wiesen neben dem wolfstypischen Kehlbiss weiter Bissspuren an mehreren Körperstellen auf. In Panik durchbrachen Muttertiere und Lämmer die Einfriedung zur Ohre, suchten Schutz im Wasser. Ihnen wurde ihre Wolle zum Verhängnis. Sie sog sich voll, das Gewicht zog die Tiere unter Wasser, sie ertranken.

Die Roloffs zählten schließlich 20 tote Tiere vor Ort. 21 weitere waren so schwer verstümmelt, dass sie von ihrem Leiden erlöst werden mussten. Um das Leben weiterer Schafe kämpfen die Halter derzeit auf dem heimischen Gehöft in Sandbeiendorf. Isegrim metzelte nicht aus Hunger, sondern aus reiner Mordlust. „Die eigentlichen Fraßschäden waren minimal, ich schätze zwei Kilogramm“, meint Achim Roloff. Diese Schäferei hatte in der Vergangenheit bereits mit mehreren Wolfsangriffen zu kämpfen, „in dieser Größenordnung hatten wir das aber noch nicht erlebt“, so der Junior.

Sein Vater (61) baute den Betrieb 2012 im Haupterwerb auf. Nach seiner Ausbildung und dem anschließenden Meisterstudium stieg der heute 31-Jährige im Unternehmen ein. 2014 hatten es die Roloffs mit der ersten Wolfsattacke zu tun, vier weitere folgten, allein drei davon Ende März 2016.

In den folgenden vier Jahren ließen die Raubtiere die Sandbeiendorfer Schafe in Ruhe. Der Grund: Diese wurden nun von Herdenschutzhunden bewacht. Die ersten dieser tierischen Boddygards wurden von der Gesellschaft zur Schutz der Wölfe gesponsert. Anschließend legte das Land ein Förderprogramm zum Ankauf von Herdenschutzhunden auf, welches die Roloffs auch nutzten.

Fünf dieser wertvollen Hunde, je nach Marktlage müssen für einen ausgebildeten vierbeinigen Bewacher zwischen 5000 und 7000 Euro bezahlt werden, sichern derzeit die rund 800 Mutterschafe und deren Nachzucht. Das Problem: Die Wollträger sind auf sieben Standorte verteilt. „Seit fünf Jahren beweiden wir den Ohredeich bei Loitsche. Mit Wölfen hatten wir hier bisher keine Probleme. Deshalb setzen wir die Hunde in den Herden ein, die in Nähe des Truppenübungsplatzes stehen, wo der Wolf eher auftauchen könnte“, begründet der Schäfermeister.

Den entstandenen materiellen Schaden beziffert er auf rund 5000 Euro. Das mache den verlorenen Schlachtpreis aus, plus den Abdeckerkosten. Allerdings waren diese Tiere nicht für den Schlachter gedacht, sondern für die Zucht. Ungeborene Lämmer werden allerdings nach einem Wolfsangriff vom Land nicht entschädigt.

Überhaupt ist fraglich, ob die Roloffs ihren Schaden ersetzt bekommen. Sie geben selber zu, die in Amtsstuben formulierte DIN nicht ganz korrekt eingehalten zu haben. Zwar lag die Stromspannung in den Elektronetzen mit 4500 Volt weit über der vorgegebenen Mindestspannung von 2700 Volt, auch war die Weide komplett eingezäunt. Der Knackpunkt: Die Behörden schreibt vor, dass der Abstand zwischen Boden und dem ersten stromführenden Draht nicht mehr als 20 Zentimeter betragen darf. „Da lagen wir an einigen Stellen aufgrund des Bewuchses minimal drüber“, so Joachim Roloff. Dieser Lapsus sei von der zuständigen Rissgutachterin zu Protokoll genommen worden. Er befürchtet: „Das könnte uns auf die Füße fallen.“

Spuren, dass der Wolf diese kleinen Lücken ausgenutzt hat, wurden indes nicht gefunden. Im Gegenteil: Achim Roloff ist sich sicher: „Der ist über die Zäune gesprungen.“ Schon öfter wurde beobachtet, dass Isegrim zunehmend diesen Weg nimmt, um an seine Beute heran zu kommen. Selbst wenn er dabei den Zaun berührt – ohne Bodenkontakt merkt er keinen Stromschlag.

Auch sei ein Schäfer, der ständig die Weideflächen wechseln muss, nicht in der Lage jedes Mal einen „Hochsicherheitstrakt“ zu bauen, beklagt der Sandbeiendorfer. Allein den Ohredeich hüten seine Schafe auf einer Länge von 14 Kilometern ab. Um allen Herden Futter zu geben, müssen er und sein Vater täglich mehrere Kilometer Zaun unter den verschiedensten Geländesituationen umsetzen. Den mit dem Herdenschutz verbunden zusätzlichen zeitlichen Aufwand bekommen Schäfer übrigens nicht bezahlt.

Für Joachim Roloff steht fest: „Der Wolf ist bei uns schon lange nicht mehr zu kontrollieren.“ Das Raubtier strafe die einschlägigen Abhandlungen seiner Befürworter über seine Lebensweise und sein Beuteverhalten Lügen. „Ich fühle mich mittlerweile als Futterlieferant für diese weltfremden Wolfsspinner“, schimpft er. Sein 31-jähriger Sohn gehört zu nicht einmal einer Handvoll jungen Menschen im Land, die in der Schäferei ihre Zukunft sehen. Finanziell auf Rosen gebettet sind er und Seinesgleichen nicht, es sind Idealisten. Nach den Vorfällen am Wochenende und unter dem Eindruck, dass hier zu Lande das Leben eines Wolfes mehr zu zählen scheint als das vieler Schafe inklusive der Existenz der Schäfer und ihrer Familien, denkt er über seine berufliche Zukunft noch einmal nach.