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Selbstversuch Hypnose - funktioniert das denn?

In einer Tangermünder Praxis wagt die Autorin einen Hypnose-Selbstversuch. Interessante Beobachtungen von innen und außen.

Von Anastasia Hartleib 06.06.2018, 01:01

Stendal l Was ich über das Thema Hypnose wusste, bevor dieses Experiment auf mich zukam? So gut wie gar nichts, so wie vermutlich der Großteil der Leute auch. Hypnose kenne ich aus Filmen oder abendlichen Fernseh-Shows, aber sind wir mal ehrlich: Ausprobieren möchte man sie nach solchen Vorführungen nicht unbedingt. Trotzdem wollte ich schon immer mal wissen, ob solche Trance-Zustände überhaupt möglich sind oder ob wir uns von ein paar Entertainern einen riesigen Bären aufbinden lassen.

„Soll ich wirklich?“, geht es mir also durch den Kopf, als mir das Angebot übermittelt wird, dass die Hypnosetherapeutin Julia Kennke die Volksstimme zu einem Selbsttest in ihre Tangermünder Praxis einlädt. ‚Nicht, dass ich danach willenlos durch die Tangermünder Altstadt spaziere und Passanten Tricks vorführe‘, denke ich

Ich kann vorweg sagen: Willenlos war ich zu keinem Zeitpunkt. Dass das auch normal bei einer medizinischen Hypnose ist, erklärt Julia Kennke gleich zu Beginn. Überhaupt nimmt mir die Heilpraktikerin für Psychotherapie im Vorgespräch einige Nervosität. Sie erklärt mir die Vorgehensweise und Anwendungsbereiche einer Hypnose. Außerdem sagt sie, dass ohne ein gegenseitiges Kennenlernen beim ersten Termin und ein konkretes Therapieziel eigentlich gar nichts geht. „Normalerweise würde ich nie beim ersten Termin in die Hypnose gehen“, sagt die Rathenowerin.

Doch da die Chemie zwischen uns stimme, macht sie eine Ausnahme. Seit acht Jahren führt die Heilpraktikerin ihre Klienten schon in die Hypnose, seit vier Jahren in ihrer Praxis in der Tangermünder Innenstadt. Ihre Kunden waren es auch, die Kennke dazu gebracht haben, die Volksstimme zu kontaktieren. „Damit endlich mal mit diesen furchtbaren Vorurteilen aufgeräumt wird“, sagt sie.

So sitze ich nun in ihrer Praxis und bin immer noch etwas nervös, da ich mir noch nicht genau vorstellen kann, was gleich passieren soll. Ursprünglich hatte ich vor, meine Angst vor Spinnen zu thematisieren. Eine Angst, mit der sich sicherlich viele identifizieren können. Doch im Gespräch bleibt Julia Kennke an etwas anderem hängen. Ich erwähne beiläufig, dass ich aufgrund einer Erkrankung vor ein paar Jahren bereits einen Heilpraktiker aufgesucht hatte. Aus purer Verzweiflung, da mir kein Mediziner weiterhelfen konnte. Ich berichte ihr von der erfolgreichen Behandlung. Und dennoch – irgendwie schwebt das Risiko eines möglichen Rückfalls wie ein Damokles-Schwert über meinem Kopf. Also schlägt Kennke vor, während der Hypnose mein Immunsystem anzusprechen.

Zugegeben, im ersten Moment klingt das ziemlich esoterisch. Und wahrscheinlich mutet es auch so an. Doch im Prinzip bedeutet die Hypnose nichts anderes, als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Man geht im wahrsten Sinne des Wortes in sich und räumt mal ordentlich auf. Manchmal, weil man dabei auf die Ursache für ein quälendes Problem stoßen möchte. In der Regel kämen die Leute zu Kennke, um mit einer Sache abschließen und nach vorne blicken zu können. Und sei es nur, sich nicht mehr vor Spinnen fürchten zu müssen.

Bevor wir die richtige Behandlung beginnen, macht die Heilpraktikerin einen kurzen Test mit mir, um zu sehen, wie ich auf die Hypnose reagiere. Dabei überprüft sie, ob ich ihrer Stimme während der Hypnose folgen kann. Denn letztendlich macht die Therapeutin nicht mehr – sie führt. Sie gibt Hilfestellungen, um den Trance-Zustand richtig nutzen zu können. Doch die eigentliche Arbeit muss ich selbst leisten.

 *** Die Beobachterin: Neugierig bin ich ja schon, wie so eine Hypnose funktioniert. Aber meine Grundskepsis kann ich nicht verbergen. (Ich glaube, das merkt die Therapeutin auch; irgendwelche körpersprachlichen Signale geben meiner Tendenz zum Rational-Analytischen sicherlich Ausdruck.) Aber ich bin ja auch nur zum Beobachten als Begleiterin mit da. Also: Da steht sie nun, meine Kollegin. Und schließt die Augen und schwankt ein wenig, Julia Kennke hält ihre Hände schützend vor Anastasias Brustbein und Rücken. Blinzelt die Probandin? Kann sie die Geräusche – das Schuffeln meiner notierenden Hand übers Papier, das Vogelzwitschern, das Autorollen draußen – wirklich ausblenden? „Wo sind deine Gedanken?“, fragt Kennke. Anastasia schweigt. „Sie sind weg, stimmt‘s?“ Anastasia nickt. Ob sie nickt, weil es so erwartet wird? Ihre Seele, erzählt Kennke weiter, hole sich jetzt die Kraft und den Frieden... Anastasia könne eintauchen, sich treiben lassen... Na, ob das funktioniert, so im Stehen? ***

Ich finde, man kann den Zustand, in dem man sich während der Hypnose befindet, mit einer ausdauernden Yoga-Stunde vergleichen. Ich bin zwar anwesend und vernehme alles um mich herum, doch der Kopf folgt eigentlich den Bewegungen des Körpers. Der Unterschied besteht darin, dass mein Kopf eben nicht meinem Körper, sondern Julia Kennkes Stimme folgt. Hinein in mein eigenes Unterbewusstsein. Das funktioniert auch prima im Stehen.

Nachdem der Test beendet ist, geht auch schon die richtige Hypnose los. Ich lege mich auf die Liege und Julia Kennke deckt mich zu. Ich schließe die Augen und versuche erneut, einfach loszulassen. Man lässt die Gedanken einfach umherschwirren, versucht aber, keinen Gedanken wirklich zu denken. Das ist am Anfang gar nicht so einfach, denn eigentlich sind die Gedanken ja genau dafür da. Doch mit der Zeit merkt man, wie auch das nachlässt und der Kopf langsam leerer wird. Und dann befindet man sich auch schon mitten in der Hypnose.

*** Julia Kennke sitzt im Schneidersitz neben der Liege, redet mit warmer, leiser, aber deutlich vernehmbarer Stimme. Es ist, als ob sie eine Geschichte erzählt. Erstaunlich: Im Vorgespräch berlinerte sie stark, aber jetzt ist der Dialekt wie weggewischt. Ganz angenehm. Kennke: „Ich schließe meine Augen und gehe mit dir weiter und weiter. Dein Unterbewusstsein hört alles und nimmt die Worte, die dir gut tun. Die Geräusche, die zu hören sind, sind unwichtig, aber geben dir die Sicherheit, um in eine andere Zeit zu gehen, an einen anderen Ort.“ ***

Ich habe zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, willenlos zu sein, im Gegenteil. Ich bin wach und aufmerksam, nur eben „nach innen gerichtet“. Ich bin auch in der Lage zu reden, mich zu bewegen oder die Augen zu öffnen. Ich entscheide mich jedoch aktiv dagegen und gebe nur mit einem schwachen Nicken Rückmeldung an die Therapeutin, denn der hypnotische Zustand löst eine Entspannung aus, aus der man nur ungern erwachen möchte.

*** „Dein Atem ist wie Wellen, die heranspülen und sich wieder zurückziehen... heran... zurück... heran... zurück. Du gleitest von ganz allein in die Hypnose, dein Körper beginnt, dieses Wohlgefühl zu genießen. Du brauchst nichts zu tun und nichts zu verstehen.“ Kennke zählt jetzt Stufen, die Anastasia in ihrem Wie-auch-immer-Zustand gehen soll, tiefer in die Hypnose. Bei 3 soll sie alles abstreifen, was auf ihren Schultern lastet... bei 5 merke sie, wie ihr Schritt beschwingter werde... Bei 6 und 7 war auch irgendwas... ich bin im Geiste die Stufen mitgegangen und habe darüber für kurze Zeit das konzentrierte Zuhören versäumt, schreibe nichts auf. ***

Es ist, wie Kennke es beschreibt: Man fühlt sich wie an einem Morgen, an dem man ausschlafen kann. Die wohlige Wärme des Bettes und die Gewissheit, nichts tun zu müssen, sorgen dafür, dass man noch mal genüsslich wegdöst. Zwar bekommt man mit, dass der Partner aufsteht und vielleicht auch mit einem spricht, doch das Schlafen erscheint gerade als die eindeutig schönere Beschäftigung.

Während der Trance begebe ich mich auf eine kleine Reise, einzig ausgelöst durch meine Vorstellungskraft. Die Therapeutin gibt die Impulse dazu, sagt mir zum Beispiel, ich solle mir einen See vorstellen. Doch wie der See aussieht, das entscheide ich ganz allein.

*** So, jetzt geht es also an einen See, der Anastasias Körper oder Seele sein soll. Bäche strömen ins Tal, ein Ruderboot wird zu Wasser gelassen – das aufzuschreiben, ist mir zu abstrus. Ich höre einfach mal weiter zu. „Es gibt Zeit, unendlich viel Zeit. Nimm dir die Zeit, überhaupt nichts mehr zu tun, ganz tief zu ruh‘n, ganz bei dir. Und auch ich bin jetzt still.“ ***

Ich erlebe die Hypnose als etwas sehr Intimes. Schließlich soll der See, den ich mir vorstelle, ein Abbild meiner Seele sein. Vielleicht gefällt mir nicht alles, was sich an diesem See wiederfindet. Trotzdem ist er doch ein Abbild von mir, bin ich doch diejenige, die ihn sich ausdenkt.

Nachdem wir mein Immunsystem in meiner Vorstellungskraft angesprochen haben, lässt mich Julia Kennke für ein paar Minuten allein im Raum, um das Erlebte zu verarbeiten und selbstständig wieder aus diesem Trance-Zustand zu erwachen.

*** Ich gehe mit Julia Kennke hin­aus. Gestehe, dass ich auch kurz abgedriftet war, und spreche sie auf ihr plötzliches Nicht-Berlinern an. Sie staunt selbst über diesen unbewussten Effekt. Als wir den Raum wieder betreten, hat Anastasia die Augen auf, wirkt aber verschlafen. Es ist mir etwas unangenehm, in dieser doch sehr privaten Situation dabei zu sein. Vor dem Abschlussgespräch der beiden gehe ich. ***

Ich fühle mich ausgeruht und gestärkt. Ein erholsames Nickerchen kommt diesem Gefühl wohl am nächsten, das auch in den Tagen nach der Hypnose anhalten soll.

Ob die Hypnose nun gewirkt hat? Mit Sicherheit kann ich es wohl erst sagen, falls ich wieder krank werden sollte. Ich allerdings fühle mich gesund, stark und ausgeglichen und habe das Gefühl, dass es mir durchaus etwas gebracht hat. Und sei es nur das Gefühl, ein gesunder, vitaler und ausgeglichener Mensch zu sein.