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Wahlbetrug Stunden der Aufklärer

Am vierten Prozesstag am Landgericht Stendal stehen am Mittwoch zwei Männer im Mittelpunkt, die die Wahlfälschung aufdeckten.

30.01.2017, 23:01

Stendal l Hätte, wäre, wenn - fast wäre für den damaligen CDU-Stadtrat Holger Gebhardt bei der Stadtratswahl im Mai 2014 – so wie bei der Kommunalwahl zuvor im Jahr 2009 – alles gut gegangen. Wenn die Volksstimme wenige Tage später seinen exorbitant hohen Briefwahlanteil von 82,3 Prozent der Stimmen nicht öffentlich gemacht hätte, wäre die Wahlfälschung wohl nicht aufgeflogen.

In der Folge musste der damalige Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt (CDU) am 26. Juni 2014 einräumen, dass mitnichten alles korrekt gelaufen war. Insgesamt 189 Vollmachten hatte die Stadt damals an nur zwölf Bevollmächtige herausgegeben – erlaubt waren indes nur maximal je vier.

Kleefeldts Offenbarungseid liest Florian M. wenige Tage später. Der junge Mann gehört, wie so viele seiner Generation, nicht zu den Zeitungslesern. In seinem Fall ist die Lektüre dienstlich: Florian M. war  damit betraut, die Chronik der Stendaler Feuerwehr zu erstellen. Und dazu gehörte auch die Presseschau.

M. erkennt in dem Artikel seinen Fall wieder. Er gehört zu den zehn Wählern, die am Wahltag wählen wollten, doch deren Briefwahlunterlagen bereits abgeholt und von Holger Gebhardt – wie dieser inzwischen zugegeben hat – gefälscht worden waren.

Florian M. hatte am Wahltag im Rathaus erklärt, dass der Wahlschein für die Briefwahlunterlagen nicht von ihm stamme, seine Unterschrift gefälscht worden sein müsse und er den dort eingetragenen Bevollmächtigten Wolfgang M. nicht kenne. Seine Ausführungen wurden nicht dokumentiert. Eine weitere Verwaltungspanne, muss der Stadtwahlleiter später einräumen. Sonst hätte er am Wahl­abend Strafanzeige gestellt.

Doch Kleefeldt erfährt erst am 1. Juli durch eine Mail von Florian M. von dessen Fall. Danach geht alles ganz schnell: Am 3. Juli erklärt M. im Rathaus an Eides statt, dass seine Unterlagen gefälscht worden sind. Verdächtig schnell erhält er am gleich Tag noch Besuch von zwei jungen Frauen, die von einer „Verwechselung“ sprechen und ihn bitten, seine Aussage gegen Wolfgang M. zurückzunehmen. Offenbar gab es einen „Maulwurf“ im Rathaus. Florian M. hat dazu morgen sicher einiges zu berichten.

Mit dessen Aussage stellt Stadtwahlleiter Kleefeldt wenige Tage später Strafanzeige.

Von da an kommt viel Arbeit auf den Kriminalhauptkommissar H. zu. Mit nur wenigen Kollegen trägt H. im Sachgebiet 5 des Stendaler Revierkriminaldienstes über anderthalb Jahre hinweg fast 3000 Seiten für die Strafakte zusammen.

Dem Verdacht auf Wahl- und Urkundenfälschung gehen H. und seine Kollegen durch die Befragung von mehr als 200 Zeugen nach.

Belastendes Material finden die Beamten auch bei einer Handvoll Hausdurchsuchungen – unter anderem in Gebhardts Haus und bei seiner damaligen Arbeitsstelle im Jobcenter, in der CDU-Kreisgeschäftsstelle und im Betrieb von Antje M.

Die Ermittlungen führen nicht nur zur Anklage von Gebhardt in 300 Fällen von Wahl- und Urkundenfälschung. Bei der Auswertung von Computerdateien, Mobiltelefonen und sichergestellten Dokumenten entdecken der Kommissar und seine Kollegen nicht nur handfeste Indizien dafür, dass schon 2009 Briefwahlstimmen gefälscht worden sein müssen. Sie haben auch dokumentiert, dass es nach Bekanntwerden der Verwaltungspanne intensive Bemühungen gab, die Wahlen doch für gültig zu erklären und Fälschungen zu vertuschen.

Als die Volksstimme im vorigen Sommer über Teile davon berichtet, hat das erste politische Konsequenzen: Hardy Peter Güssau muss als Landtagspräsident zurücktreten, Axel Kleefeldt und Landrat Carsten Wulfänger (alle CDU) werden als Stadt- beziehungsweise Kreiswahlleiter abberufen.

24 Seiten stark ist der Schlussbericht, den der Kriminalhauptkommissar am 18. Januar 2016 unterzeichnet hatte. Er lieferte die wesentlichen Bausteine für die Anklage. Und er enthält zudem einigen politischen und juristischen Sprengstoff mit Blick auf das Zusammenwirken einzelner Beteiligter im Jahr 2014 – und in Teilen auch davor.

Der vierte Sitzungstag beginnt um 9 Uhr. Florian M. ist für 9.30 Uhr, Kriminalhauptkommissar H. für 13 Uhr geladen. Sechs Zeugen sollen gehört werden, der letzte ab 14 Uhr.