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Straßenverkehr Steigt die Rücksichtslosigkeit?

Ein Stendaler Radfahrer gewinnt den Eindruck, dass die Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr zugenommen hat. Stimmt das?

Von Leonie Dreier 24.11.2020, 10:30

Stendal l Dieter Müller (Name von der Redaktion geändert) beschwert sich über die zunehmende Verrohung und Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr. Besonders er als Fahrradfahrer zieht bei Begegnungen mit Autofahrern den Kürzeren.

Doch blickt man auf die Unfallzahlen des Landkreises Stendal der vergangenen drei Jahre, bei denen Fahrradfahrer beteiligt waren, lässt sich kein großer Anstieg feststellen. Das gleiche Bild bieten die Zahlen der Städte Stendal und Osterburg mit den jeweiligen Ortsteilen. In Havelberg sind die Unfallzahlen sogar gesunken.

Doch was hat Müller erlebt, dass er diesen Eindruck gewann? Der Stendaler ist die Bahnhofstraße in Richtung Tangermünder Tor auf dem Radweg gefahren. Ein Autofahrer parkte sein Auto und ist dafür vom Seitenstreifen auf die Fahrbahn gefahren. Dabei legte er den Rückwärtsgang ein und fuhr auf den Radweg, um wenden zu können. Bei diesem Manöver hat der Autofahrer Dieter Müller entweder wissentlich oder unwissentlich übersehen, beschreibt der Mann die Situation. „Ich bin mit meinem Fahrrad auf Fußweg ausgewichen, sonst wäre ich gestürzt“, sagt er. Um dem Autofahrer seine Unmut mitzuteilen, schlug Müller ihm auf das Autodach. Der Pkw-Fahrer ließ sich davon nicht beirren und fuhr ohne Reaktion davon. „Ich dachte der putzt dich weg“, sagte die Frau, die hinter Müller fuhr.

Einige Tage später erwischte ihn fast ein Autofahrer auf der Tangermünder Chaussee. Müller fuhr auf dem Radweg am Supermarkt vorbei, als ein Auto vom Parkplatz fuhr und auf die Straße abbog. Dabei überquerte der Pkw-Fahrer den Radweg „ohne Rücksicht“, sagt Müller, der durch einen raschen Stopp gerade noch rechtzeitig einen Zusammenstoß verhindern konnte. „Diesem Fahrer habe ich vielleicht zu fest aufs Auto gehauen“, stellt er fest. Denn der Fahrer schnitt ihm den Radweg ab, stieg aus und beschwerte sich. Um sich gegebenenfalls verteidigen zu können, zückte der Fahrradfahrer sein Schloss. „Bis hier und nicht weiter, sagte ich dem Autofahrer. Dieser fuhr daraufhin tatenlos weg.“

Müller hätte das Nummernschild fotografieren und den „Rüpel“ anzeigen sollen, bemerkt er. Das bestätigt auch Beatrix Mertens, Pressesprecherin der Polizeiinspektion Stendal. Wenn ein Verkehrsteilnehmer feststellt, dass sich ein anderer Teilnehmer grob verkehrswidrig verhält und somit andere gefährden oder verletzten kann, soll die Polizei informiert werden, teilt Mertens auf Anfrage mit. Dazu sind konkrete Angaben zur Örtlichkeit, Datum, Uhrzeit, Autokennzeichen sowie der genaue Ablauf der Situation für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit beziehungsweise Straftat wichtig. Mögliche Zeugen können zusätzlich das Geschehen bestätigen.

Nun stellt sich Dieter Müller die Frage, woher die Verrohung und Nicht-Beachtung der Verkehrsregeln kommt. „Derartige Einschätzungen und Empfindungen sind in der Regel sehr subjektiv geprägt“, sagt Beatrix Mertens. „Ist man persönlich betroffen wegen eigener Erfahrungen oder Erzählungen aus dem Bekanntenkreis, kann ein entsprechender Eindruck entstehen.“ Die Entwicklung der Verkehrsunfallzahlen lässt diesen Schluss nicht zu, betont die Pressesprecherin.

Der Stendaler beschwert sich aber nicht nur über rücksichtslose Autofahrer, sondern auch über Radfahrer, die durch eine Fußgängerzone fahren. In Stendal herrscht beispielsweise zwischen 10 und 19 Uhr Radfahrverbot in der Fußgängerzone. Wer sich nicht daran hält, kann mit einem Bußgeld von 15 Euro bestraft werden, erklärt Beatrix Mertens. Und das passiert scheinbar relativ häufig.

Auf Anfrage teilt Stendals Pressesprecher Armin Fischbach mit, dass das Ordnungsamt in der Fußgängerzone in diesem Jahr bislang 44 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet hat. „2019 waren es insgesamt 35 Ordnungswidrigkeitsanzeigen, so Fischbach, wobei es keine genauen Zahlen gibt, wie viele Radfahrer jährlich kontrolliert werden.

Fakt ist jedoch: Die Verstöße werden in allen Altersklassen begangen. Für 2020 sind 13 der 44 Ordnungswidrigkeitsverfahren von Radfahrern zwischen 20 und 30 Jahren begangen worden, so Fischbach weiter. Die Zahlen der anderen Altersklassen liegen darunter. Welche Reaktionen zeigen die Radfahrer, wenn sie erwischt werden? „Von Ärger, über scheinbare Anteilnahmslosigkeit bis hin zu großer Einsicht hatten wir schon alles dabei“, sagt Armin Fischbach.