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Verhandlung An der Wahrheit vorbei erzählt

Freispruch gab es für einen Osterburger im Prozess um Körperverletzung. Es gab viel Widersprüchliches.

Von Wolfgang Biermann 24.07.2018, 23:01

Stendal l Mit einem klaren Freispruch für einen 59-jährigen Osterburger endete jetzt vor dem Stendaler Amtsgericht ein zweitägiger Prozess um Körperverletzung. Es ging um Geschehnisse am Himmelfahrtstag 2017 auf der Nordpromenade in der Biesestadt. Zumindest bei einigen der Beteiligten war wohl reichlich Alkohol im Spiel. Dazu verband eine Vorgeschichte die Akteure.

Wie Amtsrichter Thomas Schulz sagte, erinnere er sich „kaum an einen Prozess wie diesen, wo soviel an der Wahrheit vorbei erzählt wurde“. Konkret nannte er das angebliche Opfer und ihren Freund. Ihre Aussagen halte er für widersprüchlich und „nicht glaubhaft“.

Zum Hergang aus Sicht des Gerichts: Zwei Frauen waren am Abend des 25. Mai 2017 aneinandergeraten. Aus einem verbalen Wortgefecht zwischen einer leicht alkoholisierten Radfahrerin, die ihr Rad nicht aus dem Weg räumen wollte, und einer Autofahrerin mit Ehemann und zwei Kindern an Bord wurden Handgreiflichkeiten. Dabei erhielt die Autofahrerin mindestens einen Schlag ins Gesicht, wie ein noch am selben Abend erstelltes ärztliches Attest belegt.

Ein weiteres, allerdings erst Tage später erstelltes Attest bescheinigt der Radlerin einen Schulterbruch. Dafür sollte laut Anklage und Strafantrag der Radlerin der Ehemann der Autofahrerin verantwortlich sein. Demnach soll er die Radlerin zu Boden gestoßen und sie getreten haben. Das bestritt er aber vor Gericht. Er sei über den am Boden liegenden Drahtesel der Radlerin gestolpert und hätte sich dabei verletzt, bevor er hätte eingreifen können, gab er an.

Doch das sah Richter Schulz in der Begründung des Freispruchs anders. Demnach habe sich am Ende der langwierigen Beweisaufnahme anhand der Zeugenaussagen für ihn ergeben, dass der Angeklagte sehr wohl ausgestiegen ist und die Radlerin auch gestoßen hat. Aber: Er habe in „Nothilfe“ gehandelt. Das Gesetz gebe ihm das Handlungsrecht und erlaube ihm diese Nothilfe.

Für die angeklagten Tritte fand das Gericht aber nach Sichtung der von der Polizei Tage später gefertigten Fotos mit der verletzten Radlerin keinen Anhalt. Darauf seien wohl Abschürfungen an Knie und Schulter zu erkennen, aber keine für Tritte typischen deutlichen Hämatome. Die Verletzungen seien dem Sturz zuzuordnen. „Getreten haben Sie nicht“, sagte Richter Schulz zum Angeklagten.

Damit ist die Sache zumindest strafrechtlich beendet – sowohl für den Angeklagten als auch für die Radlerin. Gegen die Radfahrerin liefen Ermittlungen, weil sie mit den Tätlichkeiten gegen die Autofahrerin begonnen haben soll. Das Verfahren sei aber eingestellt worden, erfuhr die Volksstimme von der Staatsanwaltschaft.