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Wahlskandal Das Briefwahl-Trauma wirkt nach

Vor fünf Jahren hat sich die Hansestadt Stendal mit dem Briefwahlskandal nachhaltig blamiert. Das soll sich nicht wiederholen.

Von Antonius Wollmann 23.05.2019, 10:54

Stendal l Dass Philipp Krüger wenige Tage vor dem Wahltag wenigstens ein bisschen angespannt ist, kann man ihm keineswegs verdenken. Spätestens am Sonntag ab 18 Uhr werden sich die Augen der Öffentlichkeit auf ihn richten. Als Stadtwahlleiter ist der 34-Jährige in letzter Konsequenz dafür verantwortlich, dass der Urnengang korrekt abläuft und es nichts zu beanstanden gibt. Trotzdem „möchte ich versuchen, es so entspannt wie möglich anzugehen“, strahlt der Leiter des Stadtratsbüros vorsichtigen Optimismus aus. Was bleibt ihm auch anderes möglich. Viel zu gewinnen gibt es für ihn nicht, dafür umso mehr zu verlieren.

Die ohnehin schon anspruchsvolle Aufgabe erscheint angesichts der delikaten Stendaler Vorgeschichte noch um einiges schwerer als ohnehin. Zur Erinnerung: Vor fünf Jahren waren es die eklatanten Fehler in der Stendaler Stadtverwaltung, die eine Fälschung der Briefwahl durch den CDU-Stadtrat Holger Gebhardt erst möglich gemacht hatten. Bei der Ausgabe von Briefwahlunterlagen schluderten die Mitarbeiter in einem kaum vorstellbaren Maße.

Statt der erlaubten vier reichten sie massenweise Briefwahlunterlagen an Bevollmächtigte aus – in einem Fall sogar 30 Stück. Erst das exorbitant hohe Ergebnis Gebhardts bei der Abstimmung per Post erregte Misstrauen. Stück für Stück legten Recherchen der Volksstimme die gesamte Dimension des Betrugs frei. Eine Wiederholung dieser Blamage in ähnlicher Form wäre nichts anderes als ein Super-Gau.

Umso erpichter sind die Verantwortlichen im Rathaus darauf, in diesem Jahr einen reibungslosen Ablauf zu garantieren. Dazu gehörte eine intensive Analyse der Fehler der Vergangenheit. „Wir haben sämtliche Vorgänge von 2014 rekapituliert“, beantwortet Philipp Krüger die Frage, inwieweit die Chaoswahl aufgearbeitet wurde. Mittlerweile herrsche eine sehr viel höhere Sensibilität für Wahlen. „Das Thema wird in einem etwas anderem Licht betrachtet“, berichtet der Stadtwahlleiter. Was natürlich den Rückschluss zulässt, dass offensichtlich nicht immer das nötige Bewusstsein für die Tragweite eines Urnengangs herrschte.

Das an der Durchführung der Wahl beteiligte Personal wurde beispielsweise verdoppelt. Sieben Mitarbeiter der Stadtverwaltung beschäftigen sich nach Angaben Krügers bereits seit Wochen intensiv mit dem Prozedere der Stimmabgabe. Man bereite sich auf alle möglichen Eventualitäten vor. Falls Probleme auftreten sollten, habe man die Lösungen in der Schublade liegen.

Im Falle der Briefwahl habe man ebenfalls noch einmal justiert, um möglichen Manipulationen einen Riegel vorzuschieben. Die Maßnahmen betreffen die Vollmachten. Hatte man 2014 die Übersicht komplett verloren, soll sich dies auf keinen Fall wiederholen. Die Stadtverwaltung will sicherstellen, dass in diesem Jahr wirklich nur die maximal vier Briefwahlunterlagen herausgegeben werden, falls denn ein Bevollmächtigter im Briefwahlbüro erscheint.

Die Kontrollmechanismen sind im Vergleich zur Skandalwahl deutlich verschärft worden. „Nach 2014 dürfen die erteilten Vollmachten nun auch durch die Briefwahlbehörde registriert werden, damit man sich einen direkten Überblick über die Anzahl der Erteilungen verschaffen kann“, erklärt Philipp Krüger. Doch damit möchte man es nicht belassen. Gehen die Unterlagen eines Briefwählers an einen Ort, an dem er nicht gemeldet ist, wird zusätzlich eine Benachrichtigung darüber an seine Meldeadresse verschickt, berichtet der Stadtwahlleiter.

Nicht ohne Weiteres lösen lässt sich hingegen das Problem von fingierten Vollmachten. Zwar ist zwingend eine persönlich unterschriebene Vollmacht vorzulegen, wenn die Unterlagen abgeholt werden. Die Korrektheit der Unterschriften wird jedoch nicht geprüft, so lange nicht berechtigte Zweifel an deren Echtheit bestehen. „Ein umfänglicher, kriminaltechnischer Schriftvergleich für jede Vollmacht ist in einer praktischen Wahl nicht zu leisten, da dies viel Zeit und hohe Kosten bedeuten würde“, sagt Philipp Krüger.

All den vergangenen negativen Begleiterscheinugen zum Trotz erfreut sich die Stimmabgabe per Brief in diesem Jahr einer großen Beliebtheit. Bis zum 22. Mai hatten schon 2512 der 32 830 Wahlberechtigten auf diese Art Stadtrat und Kreistag gewählt. Zum Vergleich: Bei der nachgeholten Briefwahl im Jahre 2015 waren es nur 1412 Briefwähler, ein Jahr zuvor 2064.