Wahlskandal Das große Schweigen

Nach der Aussageverweigerung vom Stendaler Ex-CDU-Chef Wolfgang Kühnel wird eine frühere Verfahrenseinstellung infrage gestellt.

Von Bernd-Volker Brahms 11.08.2018, 01:01

Stendal l CDU-Landeschef Thomas Webel hatte einst gefordert, dass der Skandal um die Stendaler Wahlmanipulation 2014 lückenlos und transparent aufgeklärt und die handelnden Personen daran mitwirken sollten. So ganz klappt das nicht. Jedenfalls hat Wolfgang Kühnel, der 27 Jahre lang in Stendal Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes war in dieser Woche im Untersuchungsausschuss des Landtages eisern geschwiegen. Aus Angst vor einer eigenen Strafverfolgung hatte er wie schon vor einem Jahr beim Prozess gegen Wahlfälscher Holger Gebhardt die komplette Aussage verweigert.
"Durch diese Aussageverweigerung verbindet sich die vollständige Ignoranz gegenüber dem öffentlichen Interesse zur Aufklärung der Wahlfälschung und der Arbeit des Landtages durch ein wichtiges Mitglied der CDU", teilten die beiden Ausschussmitglieder Wulf Gallert und Henriette Quade (Linke) in einer gemeinsamen Presseerklärung nach der Sitzung mit.
Gallert hält es für unerklärlich, wenn weiterhin von der Staatsanwaltschaft daran festgehalten werde, dass gegen Kühnel nicht weiter ermittelt werde. Die Strafverfolgungsbehörde hatte ein Verfahren gegen Kühnel vorläufig eingestellt, obwohl er im Prozess gegen Gebhardt als derjenige belastet worden war, der Gebhardt "bei seinen Handlungen unterstützt und angeleitet" habe. So formulierte es Gebhardts Anwalt Uwe Kühne unlängst in einem Schreiben an die Stadt Stendal, bei dem es um Schadensersatzforderungen wegen Wiederholungswahlen geht.
Kühnels Anwalt Till Bellinghausen hatte am Donnerstag 9.8.2018 im Untersuchungsausschuss geäußert, dass er sich keine Frage der Ausschussmitglieder vorstellen könne, mit deren Beantwortung Wolfgang Kühnel sich nicht einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen könne. Kühnel war in dem Ausschuss lediglich als Zeuge geladen, weil er unter anderem einer von zwölf Personen war, die 2014 bei der Stadt Stendal mehr als die erlaubten vier Briefwahlunterlagen in Vertretung abgeholt hatte.
Ob es im Untersuchungsausschuss überhaupt noch irgendwelche erhellenden Erkenntnisse gibt, scheint mehr denn je fraglich. Am 10.?September soll im Übrigen eine zweite Stendaler CDU-Größe zum Skandal aussagen, die öffentlich bislang fast gar nichts zu den Vorgängen von 2014 geäußert hat: Hardy Peter Güssau.
Anders als im Fall Kühnel wird es Güssau schwer fallen dürfen, gar nichts zu sagen. Gegen den einstigen Landtagspräsidenten, der im Zuge der Wahlmanipulation wegen seiner ungeklärten Rolle seinen Posten im August 2016 verlor, ist nie ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden - ein totales Aussageverweigerungsrecht kann er damit nur schwerlich in Anspruch nehmen. Zum Verhängnis wurde Güssau bei seinem Amtsverlust das mangelnde und zweifelhafte Krisenmanagement, nachdem öffentlich geworden war, dass der damalige CDU-Stadtratskandidat Holger Gebhardt ein exorbitant hohes Briefwahlergebnis erzielt hatte.
In dieser Woche waren im Untersuchungsausschuss noch drei weitere Zeugen geladen, sie gehörten zu den zwölf Personen, die mehr als die vier zulässigen Briefwahlunterlagen im Stendaler Stadthaus abgeholt hatten. Eine von ihnen war die 36-jährige Lebensgefährtin Gebhardts, die ganz offensichtlich glaubt, dass dieser nicht allein gehandelt hat. "Er ist von der CDU vors Loch geschoben worden", sagte sie. Und: "Die Großen opfern die Kleinen" - das habe sie ihrem Lebensgefährten prophezeit.
Wer denn die Großen seien, wollte Henriette Quade wissen. Nach langem Zögern sagte die Zeugin: "Sie wollen doch jetzt von mir Kühnel und Güssau hören, die sicher auch. Aber es haben auch noch andere aus der Landespolitik ihren Senf dazu gegeben", sagte sie.