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Weihnachten Warum am Ende die Freude siegt

Ein 72-jähriger Stendaler will in der schweren Corona-Zeit anderen Freude schenken, doch Vandalen brechen ihm fast das Herz.

Von Regina Urbat 24.12.2020, 02:00

Stendal l Noch am selben Tag, als die Volksstimme mit einem Foto in ihrer Ausgabe den „netten Verursacher“ sucht, meldet sich jener persönlich in der Redaktion in Stendal. „Ich bin der, der das Bäumchen am Stadtsee weihnachtlich geschmückt hat“, sagt ein älterer Herr. Er trägt einen Mund-Nasen-Schutz, ist zurückhaltend und wartet auf eine Reaktion.

Bei unserer Redaktionsassistentin Ines Beier macht es sofort klick, sie führt den Herrn in einen hinteren Raum, zu mir. Wir setzen uns mit entsprechendem Abstand an einen Tisch, mein Gegenüber beginnt zu erzählen.

Heinz Schmutzer heißt der Mann, ist 72 Jahre alt und hat zum ersten Advent einen der vier Nadelbäume auf der Rabatte an der Pergola am Stadtsee mit Weihnachtskugeln dekoriert. Sein Antrieb verdient Achtung: „Ich möchte gerade jetzt in der doch so traurigen Zeit wegen der Corona-Pandemie den Leuten einfach ein wenig Freude schenken.“ Heinz Schmutzer weiß, wovon er spricht. Regelmäßige Rentnertreffs in der Stadt sind passé, viele igeln sich ein. Er fahre nun viel Rad und drehe stets zuletzt eine Runde um den Stadtsee. Dabei sei ihm die Idee gekommen, es den Bewohnern auf der Ostsee-Insel Rügen gleichzutun.

„Bei einem Familientreffen zu Weihnachten haben wir bei einem Spaziergang etwa 70 geschmückte Tannenbäume am Waldrand stehen sehen. Da wurde einem richtig warm ums Herz.“ So habe er sich gedacht: „Was die Inselbewohner können, können wir auch, und ich fange damit jetzt an.“

Er habe auch deshalb die Initiative ergriffen, weil es sich für den ehemaligen Industrie-Ofenbauer in dieser Advents- und Weihnachtszeit viel einsamer anfühlt als sonst. „Ich bin alleinstehend, schmücke selbst zu Hause nicht groß, und die traditionellen Familientreffen zum Fest fallen aus.“ Gedankenpause. Heinz Schmutzer zuckt mit den Schultern und sagt: „So ist es eben in Corona, bei mir und vielen anderen.“

Nein, traurig sei er nicht, in der Kontaktbeschränkung sieht er eine Notwendigkeit, um das neuartige, lebensbedrohliche Virus endlich in den Griff zu bekommen. Deshalb habe er seinen Entschluss „straff umgesetzt“.

Im ersten besten Laden hat er Weihnachtskugeln gekauft und eine der Koniferen geschmückt. „36 Kugeln waren es genau“, weiß Heinz Schmutzer. An der Stelle unterbreche ich. Das muss ich mir anschauen, wir verabreden uns am Stadtsee am Pavillon.

In der Tat, im tristen Umfeld von Gestrüpp und welkem Laub steht ein richtiger Weihnachtsbaum. „Ist das toll“, sagt eine vorbei radelnde Frau. Eine Spaziergängerin hält kurz inne, bevor sie – mit einem Lächeln im Gesicht – weiter geht. „Genau das freut mich“, sagt Heinz Schmutzer, blickt ihr nach und fügt leise hinzu: „Ich hätte nichts gegen Nachahmer, immerhin stehen hier am Pavillon noch drei ungeschmückte Bäume.“

Nachahmer hat es nicht gegeben. Viel schlimmer: In der Nacht zum vierten Advent ist das Weihnachtsbäumchen am Stadtsee brutal geplündert worden. Der Anblick hat Heinz Schmutzer wie ein Schlag getroffen. In seine Enttäuschung mischt sich Wut, als er davon berichtet. Es dauert eine Weile, bis er sich bereit erklärt, meinen Vorschlag anzunehmen.

Wir werden uns heute an Heiligabend wieder an der Pergola treffen. Kollegen und Freunde haben Baumschmuck gespendet, mit dem wir nun noch einmal unser aller Weihnachtsbaum für die Stendaler schmücken. So schnell geben wir wegen solcher Idioten nicht auf, um anderen eine Freude zu schenken. Nicht wahr Herr Schmutzer? Er wird lächeln und mit Sicherheit zustimmen. In der Gewissheit, unser funkelndes Tannenbäumchen wird den Stendalern gefallen. Fröhliche Weihnachten!