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Flüchtling Babelli: "Würde gern den Meister machen"

Der Syrer Mohamad Babelli flüchtete 2015 aus Aleppo nach Deutschland. In Wanzleben lernte er hilfsbereite Menschen kennen.

Von Josephine Schlüer 08.09.2020, 23:01

Wanzleben l Fünf Jahre ist es her, dass Angela Merkel ihren wohl berühmtesten Satz „Wir schaffen das“ gesprochen hat. „Wir“ sind in dieser Geschichte Mohamad Babelli gemeinsam mit Gudrun Bühring-Güttler und Wolf Güttler.

Babelli flüchtete im Sommer 2015 aus Syrien über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Österreich nach Deutschland. Zunächst lebte der damals 29-Jährige in Sammelunterkünften unter anderem in Sorge im Harz und später Am Körling, bis er eine eigene Wohnung in Wanzleben beziehen konnte.

Über glückliche Umstände lernte der geflüchtete Syrer Gudrun Bühring-Güttler kennen, deren Tochter als Ergotherapeutin einen seiner Freunde behandelte. „Es war ja die Zeit, in der alle helfen wollten“, erinnert sich die Wanzleberin. Also habe ihre Tochter sie Mohamad Babelli vorgestellt. „Mein Mann und ich haben gleich gemerkt, Mohamad möchte hier ankommen, Deutsch lernen, eine Lehre absolvieren und sich ein eigenes Leben aufbauen.“

Schließlich veranlasste Gudrun Bühring-Güttler nicht nur die Sanierung von Babellis Wohnung über den Vermieter. „Das war noch niederster DDR-Standard. Da konnte man nicht wohnen“, erinnert sie sich. Die ehemalige Lehrerin und ihr Mann unterrichteten Babelli auch in Deutsch und suchten nach einem Ausbildungsbetrieb. „Wir haben unzählige Firmen kontaktiert, erhielten zunächst aber nur Absagen.“ Karl-Heinz Matthias‘ Elektroinstallationsfirma aus Klein Wanzleben bot Babelli schließlich ein zweimonatiges Praktikum und anschließend eine Lehrstelle an. Diese beendete Babelli sogar vorzeitig und wurde von Matthias übernommen. Babelli plant schon in die Zukunft. „Ich würde auch gern meinen Meister machen, vielleicht im nächsten Jahr schon.“

Stolz, als wäre es der eigene Sohn, zeigen sich die Güttlers: „Das muss man sich mal vorstellen, als Nicht-Muttersprachler mit all den technischen Fachbegriffen so gut umzugehen, dass die Lehre sogar verkürzt werden kann“.

Doch während sich Babelli in Deutschland erfolgreich ein neues Leben aufbaut, müssen seine Mutter und seine Brüder in Aleppo so tun, als wüssten sie nichts von seiner Flucht und seinem Aufenthaltsort. Jedes Gespräch über WhatsApp wird anschließend sofort gelöscht.

In Syrien gilt Babelli als Kriegsdienstverweigerer und wird vom Militär gesucht. Er sollte für Assad gegen die Rebellen und den IS kämpfen. Für seine Familie kam nicht in Frage, dass er sich dieser Gefahr aussetzt. Für Babelli kam nicht in Frage, auf die eigenen Landsleute zu schießen. Ein Großteil der Familienersparnisse wurde für Babellis Flucht nach Europa aufgewendet. Eine Rückkehr nach Syrien würde sein Todesurteil bedeuten.

Der damals 29-Jährige erinnert sich an seinen Aufbruch nach Deutschland: „Zwischen Syrien und der Türkei habe ich etwa 2000 Dollar nur als Bestechungsgelder an irgendwelchen Kontrollstationen bezahlt.“ Etwa einen Monat habe die Reise zu Fuß, mit dem Schlauchboot, im Zug und im Taxi gedauert, bis der junge Mann schließlich die EU erreichte: „Ab Österreich musste ich dann endlich keine Unsummen mehr als Schmiergelder oder für Transportmittel bezahlen.“

Gemeinsam mit Babelli brachen 2015 unzählige weitere Menschen in Richtung Europa auf und tun es bis heute. „Ich habe größtenteils Syrer, Afghanen und Iraker getroffen, wollte aber nicht mit allen reden, einige waren mit Pistolen oder Messern bewaffnet.“ Auch von Schleusern wurde Babelli immer wieder angesprochen, „diese Menschen können dir nicht helfen. Sie versprechen, dich schneller oder sicherer zum Ziel zu bringen, aber das können sie nicht. Sie wollen nur dein Geld“, sagt er. „Für uns war das unheimlich interessant, mal so eine Lebensgeschichte kennenzulernen“, sagt Wolf Güttler.

Babellis größte, aber derzeit auch unbegründete Angst, gilt einer Abschiebung. „Was, wenn ich meine Arbeit verliere“, sorgt er sich. Die Güttlers aber beruhigen ihn, die Bewilligung der Aufenthaltserlaubnis sei nur noch eine Formalie. Auch sie würden ihren neu gewonnen Freund vermissen„ Es ist ja nicht nicht nur so, dass wir Mohamad helfen, sondern er hilft uns auch. Schließlich sind wir nicht mehr die Jüngsten. Wenn bei uns beispielsweise was am Haus zu tun ist, ist er sofort da.“ Mohamad besitze sogar einen Hausschlüssel der Familie Güttler. So eng sei das freundschaftliche Verhältnis gediehen. „Wenn wir auf Reisen sind, kümmert er sich um die Katze und unsere Blumen.“

Heute spricht Mohamad Babelli fließend Deutsch, besitzt einen Führerschein, ein eigenes Auto, einen Gesellenbrief und das Seepferdchen. „Der Wüstensohn kann jetzt schwimmen“, scherzt Wolf Güttler. „Es fehlen ihm nur noch ein paar gleichaltrige Freunde und eine Freundin“, sagt Gudrun Bühring-Güttler, „wir sind schließlich schon alte Leute.“ „Alte Leute, aber gute Leute“, antwortet Mohamad. Der streng gläubige Moslem würde gern eine Frau finden, die auch Christin oder Jüdin sein dürfe, nur keine Atheistin.

Am Beispiel Mohamad Babellis zeigt sich, wie Integration gelingen kann. Hier zumindest hat sich der Optimismus der Kanzlerin bewahrheitet.