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Verkehrsunfall Tödliche Abkürzungen dank StVO

Innerhalb von 13 Monaten kommen zwei Radfahrer auf Feldwegen bei Klein Wanzleben (Landkreis Börde) ums Leben.

03.09.2020, 23:01

Klein Wanzleben/Hordorf l Drei Jugendliche heizen mit zwei Mopeds über einen Feldweg bei Klein Wanzleben. Das Wetter ist gut und relativ warm ist es auch noch. Gegen 19.05 Uhr ändert sich das Leben der Drei an diesem 27. August 2020 schlagartig, als sich ihnen ein Radfahrer entgegenstellt. Im Polizeibericht heißt es dazu: „Am Abend waren die zwei Krafträder hintereinander auf dem asphaltierten landwirtschaftlichen Weg unterwegs. Ihnen entgegen kam ein Fahrradfahrer, der anhielt und sein Fahrrad quer vor sich stellte.“ Was in den wenigen Sekunden danach passiert, rekonstruieren die Ermittler über mehrere Stunden an der Unfallstelle. Demnach konnte der vorausfahrende 17-jährige Mopedfahrer noch anhalten, der dahinter fahrende 16-Jährige nicht. Dieser rammt den Radfahrer, welcher zu Boden stürzt. Die Verletzungen, die der Mann bei dem Zusammenstoß erleidet, sind so schwer, dass er noch an der Unfallstelle verstirbt.

Ein Jahr zuvor ereignet sich ein ähnlich tragischer Unfall ebenfalls bei Wanzleben. Am 4. August 2019 befährt der damals 78-jährige Uwe Meistring mit seinem E-Bike den landwirtschaftlichen Weg von Klein Wanzleben nach Meyendorf. Hier ist er wie jeden Sonntag mit seiner Familie verabredet. Doch der vermeintlich sichere Weg, der auch als Börderadweg ausgeschildert ist, wird für ihn zur Todesfalle. Gegen 11.40 Uhr passiert der tragische Unfall. Dem Rentner kommt ein Fahrzeug entgegen, welches ihn erfasst und gegen einen Baum schleudert. Meistring ist sofort tot. Als er nicht pünktlich zum Mittagessen erscheint, macht sich sein Schwiegersohn Steffen Hochsiedler auf die Suche nach ihm. Er erfährt letztendlich von dem Unfall, als er einem Rettungswagen folgt, welcher in den schmalen Feldweg abbiegt. Gegenüber der Volksstimme sagt er: „Den Feldweg fahre ich nie entlang, der ist gerade mal drei Meter breit.“ Der Unfallfahrer wird wenige Stunden später von der Polizei aufgrund von Zeugenhinweisen ermittelt. An seinem Transporter finden sich deutliche Unfallspuren, er selber hat einen Alkoholwert von 1,3 Promille im Blut. „Das hätte nicht passieren müssen“, resümiert Uwe Meistrings Schwiegersohn ein Jahr später.

Dieser Auffassung ist auch Norbert Kurzel. Er ist Bürgermeister des Oschersleber Ortsteiles Hordorf. Auch er beobachtet immer wieder, dass landwirtschaftliche Wege von Kraftfahrern illegal befahren werden. So zum Beispiel zwischen Oschersleben und Altbrandsleben. Er sieht die Kommunen und Ministerien in der Pflicht. „Das Aufstellen von Verkehrszeichen ist auf Feldwegen verboten. Es muss quasi eine Widmung als Verkehrsfläche erfolgen.“ Wer präventiv handeln möchte, dem sind die Hände gebunden.

Das bestätigt auch Kai Pluntke vom Ordnungsamt Wanzleben. „Grundsätzlich ist das Befahren aller Feldwege nach dem Landeswaldgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, welches auch für Felder und Äcker gilt, verboten“, erklärt er. Da landwirtschaftliche Wege keine öffentlichen Straßen seien, könnten laut Straßenverkehrsordnung (StVO) auch keine Verkehrszeichen aufgestellt werden. Das regle ein gemeinsamer Runderlass des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft und Energie sowie des Ministeriums für Landesentwicklung und Verkehr. Genau da liegt das Problem, so Pluntke: „Obwohl Kraftfahrer wissen sollten, dass Feldwege nicht zu befahren sind, führen die fehlenden Schilder nach der StVO und der gute Ausbaustand einiger Feldwege dazu, dass Kraftfahrer geneigt sind, diese als Abkürzungen zu nutzen.“

In Wanzleben versucht man nun, diesem lebensgefährlichen Trend etwas entgegenzusetzen. „Bei neu ausgebauten Feldwegen werden durch uns Schilder aufgestellt, mit der Aufschrift „Privatweg – Befahren nur mit Zustimmung des Grundstückeigentümers.“ Damit wolle man den Kraftfahrern signalisieren, dass die Wege nicht genutzt werden dürfen. Eine Überwachung dieser Wege ist schwierig, viele Bürger sehen dabei die Polizei in der Pflicht. Hier greift wieder die StVO. „Die Verkehrsüberwachung durch die Polizei konzentriert sich auf gewidmete Verkehrsflächen und dabei hauptsächlich auf Unfallschwerpunkte“, erklärte Polizeisprecher Matthias Lütkemüller. Andere Schwerpunkte für die Verkehrsüberwachung seien zum Beispiel Straßen vor Schulen oder Kindertagesstätten. Flächen für landwirtschaftliche Fahrzeuge bilden laut ihm keinen Schwerpunkt.

Auch hier bildet sich wieder ein Problem für das Wanzleber Ordnungsamt. „Wir kontrollieren zwar regelmäßig die Wege und die Beschilderungen, aber wir dürfen keinen fließenden Verkehr anhalten“, erklärt Ordnungsamtsleiter Pluntke weiter. Hier sei man auf die Hilfe der Polizei angewiesen. Seit gestern werde nun gemeinsam mit den Regionalbereichsbeamten kontrolliert. Kraftfahrern, die erwischt werden, droht ein Verwarngeld in Höhe von 35 Euro. „Laut Landeswaldgesetz kann bei wiederholten Verstößen auch ein Bußgeld von bis zu 25.000 Euro verhängt werden.“

Natürlich gebe es auch in Wanzleben Ausnahmen von der Regel. „Von diesem Befahr-Verbot gibt es Ausnahmen für Personen, die von uns eine Genehmigung erhalten haben“, erklärt Pluntke weiter. Das betreffe zum Beispiel Jäger oder Hilfsorganisationen. Zudem gebe es noch die Grundstückseigentümer und Nutzungsberechtigte wie zum Beispiel Landwirte.

Wie der aktuelle Ermittlungsstand bei den zurückliegenden Unfällen ist, kann Polizeisprecher Lütkemüller nicht sagen und verweist an die zuständige Staatsanwaltschaft. Im aktuellen Fall ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Magdeburg gegen den 17-jährigen Unfallfahrer. „Wir haben ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eröffnet“, erklärt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Obduktion des 55-jährigen Radfahrers sei beantragt und solle in Kürze erfolgen.