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Alte Kupferhütte Entwarnung wegen Dioxin in Ilsenburg

Hat die frühere Kupferhütte in Ilsenburg noch negative Auswirkungen auf die Harzer? Das Ergebnis von Bodenproben: nein.

Von Dennis Lotzmann 06.12.2018, 00:01

Ilsenburg l Am Ende war der Stein megagroß, der Ilsenburgs Bürgermeister Denis Loeffke vom Herzen gefallen ist: „Für die Gesamtstadt kann man Entwarnung geben“, so der CDU-Politiker am Mittwoch nach der Vorstellung von Analyseergebnissen diverser Bodenproben. In den vergangenen Monaten waren 21 Proben gezogen worden, um die Belastung von Erdreich und Getreide mit Dioxin und Schwermetallen zu untersuchen. Überwiegend im Ilsenburger Stadtgebiet, aber auch in Ortsteilen der Gemeinde Nordharz. Das Resultat stimmte nicht nur Loeffke weitestgehend zufrieden, sondern auch dessen Nordharzer Amtskollegen Gerald Fröhlich (parteilos), Nicole Marx, Sachgebietsleiterin für Abfall und Bodenschutz in der Kreisverwaltung, und Amtsärztin Dr. Heike Christiansen.

Allein die registrierten Bleiwerte seien an sechs Standorten erhöht gewesen, hieß es. Der höchste Wert fand sich mit 421 Milligramm pro Kilogramm (mg/kg) Erdreich am Bolzplatz an der Karlstraße. Laut Bodenschutzverordnung liegt der Prüfwert für Kinderspielplätze bei 200 mg/kg. Die sechs Überschreitungen, so Nicole Marx, seien jetzt Anlass, sich als Bodenschutzbehörde mit dieser Thematik weiter zu beschäftigen. Aber: Alle Werte seien keineswegs so hoch, dass akuter Handlungsbedarf bestehe.

Letztlich wurden 21 Spielplätze, dort nicht der Sand, sondern das Erdreich, sowie öffentliche Gärten und Parkanlagen im Bereich Ilsenburg, Darlingerode sowie Drübeck und Veckenstedt unter die Lupe genommen. Untersucht wurden die Proben hinsichtlich einer Belastung mit Dioxinen und Furanen, die vermutlich krebserregend sind, sowie Schwermetallen wie Blei, Quecksilber, Nickel oder Zink.

Auslöser der aktuellen Untersuchung waren Ende 2017 aufgekommene Vermutungen, wonach eine Häufung von Krebsfällen bei Kindern womöglich mit Emissionen der früheren Kupferhütte in Ilsenburg im Zusammenhang stehen könnten. Der Verein für krebskranke Kinder, konkret Vereinschef Avery Kolle, hatte diesen Verdacht geäußert und so erneute Untersuchungen angeschoben.

Dass dieser Verdacht eine substanzielle Basis hat, bestreitet im Raum Ilsenburg/Darlingerode kaum jemand ernsthaft. Zu extrem waren die Umweltvergiftungen, die zu DDR-Zeiten von der Kupferhütte ausgingen. Einerseits gab es seit Jahrhunderten eine mit Bergbau und Verhüttung verbundene generelle höhere Schwermetallbelastung. Andererseits kamen seit den 1960er Jahren zusätzlich Dioxin- und Furan-Emissionen hinzu. Weil plastummantelter Kupferkabel-Schrott mit ungeeigneten Technologien aufbereitet wurden, wie Nicole Marx bei der Vorstellung der aktuellen Studie erinnerte. Was durchaus nett umschrieben ist. Damals wurden Kabel samt PVC-Isolation einfach eingeschmolzen – beim Verbrennen von PVC (Polyvinylchlorid) entsteht hochgiftiges Dioxin.

Knapp drei Jahrzehnte nach dem Stopp dieser sprichwörtlich mittelalterlichen Produktionsmethoden seien die Dioxin- und Furanbelastungen im Boden weiter gesunken, hieß es. Als Vergleichswerte dienen Messwerte von 1995 und 2001, die teilweise an identischen Punkten entnommen wurden. „Wir haben eine starke Abnahme von Dioxinen und Furanen – rund 50 Prozent seit 2001“, nannte Amtsärztin Heike Christiansen konkrete Zahlen. Der Abbau erfolge unter anderem aufgrund von UV-Einstrahlung.

Ungeachtet dieser Entwicklung bleibt unklar, ob womöglich langfristige schädliche Einwirkungen aus der Vergangenheit – beispielsweise auf Eltern oder Großeltern der jetzt an Krebs erkrankten Kinder – eine Rolle spielen. Genetische Veränderungen müssten im Einzelfall untersucht werden, so die Amtsärztin.

Sicher aber sei: Trotz der vier Fälle, die im Jahr 2017 in vergleichsweise kurzer Zeit auftraten, gebe es keine Hinweise auf eine Krebshäufung im Raum Ilsenburg. Weder bei Kindern noch bei der Bevölkerung insgesamt. Zwar seien vier Fälle in einem Jahr zunächst alarmierend – da statistisch aber immer ein längerer Zeitraum betrachtet werde, müsse hier relativiert werden. Und vor diesen vier Fällen habe es in Ilsenburg lange Zeit keine gegeben.

So ist das Resultat der jüngsten Untersuchung allgemeine Entwarnung: Keine gravierende oder besorgniserregende Werte bei den Bodenproben. Gleichwohl Anlass, der Bleibelastung genauer auf den Grund zu gehen. Zum Vergleich: Bei Blei seien im Kreis Goslar sehr viel höhere Werte registriert worden (zwischen 3274 und 30 100 mg/kg).

Leicht erhöht sind in Ilsenburg mit 270 mg/kg und 946 mg/kg auch die Werte für Kupfer und Zink. Hier sieht die in die Auswertung der Daten einbezogene Umwelttoxikologin Prof. Dr. Heidi Foth von der Uni Halle ebenfalls keine Probleme. Zink und Kupfer seien Spurenelemente, die Menschen täglich aufnehmen müssten.

Hinsichtlich der Blei-Belastung an Spielplätzen rät die Toxikologin zur Pflege der Rasenflächen, um direkten Erd-Kontakt zu minimieren. Der am stärksten mit Blei belastete Bolzplatz in der Karlstraße könnte nach Loeffkes Worten eine zusätzliche, unbelastete Deckschicht erhalten. „Die Fläche ist aber auch als Standort für eine Gewerbeansiedlung im Gespräch. Dann würde sich das Problem auch lösen.“

Der Genuss von Beeren und Obst sowie Gemüse aus Gärten sei ebenfalls unbedenklich – ordentliches Waschen vorausgesetzt. Auch das im Sommer von mehreren Ackerflächen im Raum Ilsenburg/Nordharz entnommene Futtergetreide habe keine schadstoffbezogenen Beanstandungen aufgewiesen.