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Archäologie Gruft in Wernigerodes Kulturkirche entdeckt

Der Umbau der Wernigeröder Liebfrauenkirche zum Konzertsaal ist voll im Gange. Nun sind Bauarbeiter und Archäologen auf eine Gruft gestoßen.

Von Holger Manigk 31.03.2020, 01:01

Wernigerode l Die erste Spur ist eine merkwürdige Wölbung im Fußboden gewesen. Beim Abtragen des alten Grundes der Wernigeröder Liebfrauenkirche sind Bauarbeiter und Archäologen nicht nur auf Fundamente und Mauerreste des Vorgängers vom zwischen 1756 und 1762 erbauten Gotteshaus gestoßen. Als sie einen Schacht für die Technik des künftigen Konzerthauses in der ehemaligen Kirche ausheben, tritt noch viel mehr zu Tage: eine Jahrhunderte alte Gruft.

„Sie muss aus der Zeit vor dem großen Brand von 1751 stammen“, schlussfolgert Claudia Schaller. Die Grabungsleiterin vermutet, der barocke Neubau sei einfach darüber errichtet worden – mit etwas größerem Grundriss. Deshalb sei das lange verschollene Grab schon damals unter Schutt und Steinen verschwunden und seine Decke teilweise eingestürzt. Heute erscheine es „außergewöhnlich gut erhalten“, wie die Archäologin bemerkt.

Doch um wen handelt es sich bei dem Toten, den die Mitarbeiterin des Landesamtes für Denkmalpflege inzwischen in etwa anderthalb Metern Tiefe gefunden hat? „Seine Gruft ist teuer ausgestattet: Die Wände sind verputzt und mit Malereien geschmückt“, antwortet Donat Wehner. Der zuständige Gebietsreferent des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie ist sich deshalb sicher: „Es muss sich um eine vermögende und wichtige Person aus der Stadt handeln, möglicherweise einen Patrizier.“ Denkbar, aber weniger wahrscheinlich sei die Variante, dass ein Prediger oder Adliger seine letzte Ruhe in der Grube fand.

Weitere Indizien für seine These: Die Leiche wurde an der Ostseite der Kirche bestattet – in Richtung Jerusalem und „nahe am Altar, um nach damaligem Glauben einen größeren Anteil der Fürbitte zu erhalten und die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen“, wie der Experte erläutert.

Seine Kollegin entdeckte zudem metallene Griffe an den Seiten des teilweise eingedrückten Sarges – das hätten sich bis in die Neuzeit nur „sehr wohlhabende Bürger leisten können“. Die meisten mussten sich mit einer schlichten Holzkiste begnügen, so Schaller.

Dieser Pomp und die Inszenierung des Begräbnisses deuteten darauf hin, dass der Tote wohl in der Zeit der Renaissance oder des Barock gelebt habe. „Über dem Grab haben wir zudem Aschereste gefunden – sie stammen wohl vom großen Brand im Burgstraßenviertel 1751“, berichtet die Grabungsleiterin.

Genauere Auskunft über die Identität des oder der Toten könne es erst geben, wenn das Skelett geborgen und zu weiteren Untersuchungen nach Halle ins Landesamt gebracht wird. „Das könnte uns Erkenntnisse zu Geschlecht, Todesursache, eventuellen Krankheiten und Verwandschaftsverhältnissen über die DNA liefern“, sagt Wehner.

Bis dahin wird die Grabstelle des Unbekannten schon wieder zugeschüttet sein. „Wir vermessen und dokumentieren nun den Fund, um ein möglichst exaktes Bild davon für die Nachwelt zu zeichnen – vielleicht sogar mit einem mittels fotogrammetrischer Aufnahmen erstellten 3D-Modell“, erklärt Claudia Schaller. Dann muss die Forscherin wieder den Bauarbeitern weichen. Sie tragen weiter den alten Grund ab, um die Fußbodenheizung für den neuen Konzertsaal installieren zu können.

Der Zeitplan für das Millionenprojekt gerate durch die Grabungen nicht in Gefahr, fügt Rainer Schulze hinzu. Der Chef der beim Umbau federführenden Kulturstiftung Wernigerode: „Wir haben damit gerechnet, etwas zu finden. Deshalb haben wir vier Wochen Puffer für die Archäologen eingebaut.“ Ziel sei weiter, das Eröffnungskonzert vor Weihnachten 2021 zu spielen.

So werkeln nicht nur Dachdecker weiter auf der Kirche, direkt neben der Ausgrabungsstelle rollen Bagger durch das Kirchenschiff. „Wir arbeiten Hand in Hand mit der Baufirma, das funktioniert reibungslos“, lobt Archäologin Schaller, für die „Kirchengrabungen etwas ganz Besonderes sind“.

Mit weiteren außergewöhnlichen Funden rechnen sie und Wehner in Liebfrauen aber nicht: „Der Westteil des Untergrundes scheint weniger gut erhalten zu sein.“ Das hätten kleine, per Hand bis in rund 50 Zentimeter Tiefe ausgeschachtete Probelöcher gezeigt.