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Brockenbahn Ein Leben unter Volldampf

Der Betriebsleiter der Harzer Schmalspurbahnen, Jörg Bauer, geht nach 28 Jahren in den Ruhestand.

Von Uta Müller 08.01.2020, 14:32

Wernigerode l „Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Jörg Bauer, der langjährige Betriebsleiter der Harzer Schmalspurbahnen (HSB) in Wernigerode. Nach fast drei Jahrzehnten ist HSB-Betriebsleiter Jörg Bauer in den Ruhestand verabschiedet worden.

Der antike Schreibtisch im Büro in der Friedrichstraße wartet auf seinen Nachfolger. Viele Details im Büro lassen auf die Leidenschaft von Jörg Bauer schließen. Miniaturdampfloks stehen in der Schrankwand. Darauf ein riesiges Dampflok-Modell, an der Wand hängt ein Bild, das den Brocken-Bahnhof zeigt. Ein kleiner Schwibbogen mit der Harzer Schmalspurbahn neben dem Schreibtisch, ein großer im Fenster, erinnern an das vergangene Weihnachtsfest. Derweil dampft das Original unter dem Bürofenster am Westerntor vorbei. Dort, wo jede Brockenbahn auf dem Weg zum Gipfel vorbei muss. Jörg Bauer kann jeden Zug beobachten, der zum Brocken hinauffährt und wieder herunterkommt.

Dass die Dampflok wieder in die Spur fand, ist nicht zuletzt dem gebürtigen Magdeburger zu verdanken. Der Brocken ohne Brockenbahn? Was viele Menschen gar nicht mehr wissen, beschäftigt Jörg Bauer bis heute: „Ich muss oft an den Neuanfang denken, wenn ein Zug unter meinem Bürofenster dampft.“Als im September 1991 zum ersten Mal nach dreißig Jahren wieder ein Personenzug den Gipfel hinaufschnaufte, fuhr Jörg Bauer ganz vorn mit. „Das war schon ein großartiges Gefühl, wieder auf den Brocken zu fahren. Der Brocken war ein Zeichen für die Deutsche Teilung. Und es war ein Zeichen für die Deutsche Einheit, dass wir jetzt wieder hochfahren konnten. Sogar die Nationalhymne wurde gespielt, als wir oben angekommen sind“, erinnert sich der Betriebsleiter. Bauers damaliger Chef bei der Reichsbahndirektion in Magdeburg hatte mitbekommen, dass Schmalspurbahnen sein Hobby waren. „Sie kennen sich doch aus... Hier sind Briefe aus dem Westen zum Thema Brockenbahn angekommen. Das ist doch Ihr Hobby, das können Sie doch mal beantworten.“ Damit begann eigentlich das Ganze. Mit diesen Worten wurde er nach dem Mauerfall auf dem höchsten Gipfel Norddeutschlands am 3. Dezember 1989 zum Brocken-Verantwortlichen ernannt.

Der studierte Betriebstechnologe mit Fahrdienstleiter-Diplom saß dann nicht nur auf dem ersten von zwei historischen Loks Richtung Brocken gezogenen Personenzug. Kurz darauf führte er auch die Verhandlungen zum Übergang des Harzer Schmalspur-Streckennetzes von der Reichsbahn zur Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB). Und wurde schließlich deren Betriebsleiter.

So hat der Magdeburger sein Hobby zum Beruf gemacht. Seit er ein kleiner Junge war, hegte Bauer ein Faible für Modelleisenbahnen. Die Triebwagen und Dampfloks der Schmalspurmodellbahn waren schon damals Exoten. Die Liebe zu den Dampflokomotiven ist bis heute geblieben.

Neben den vielen Höhepunkten erlebte Bauer auch einige negative Seiten. Der Unfall im Jahr 1994 galt für ihn als einschneidend. Im August stießen zwei Züge nahe der Thumkuhlentalbrücke zwischen dem Bahnhof Steinerne Renne und dem Betriebsbahnhof Drängetal frontal zusammen. Nach dem Zugunglück auf eingleisiger Strecke, rüsteten die HSB mit Lichtsignalen auf. Bei dem Unfall wurden 31 Menschen verletzt.

Am 1. Januar ist Jörg Bauer in den Ruhestand gewechselt. Jüngere Kollegen sollten ran, sagt er. Das tue dem Unternehmen gut, sagt der 60-Jährige. Künftig wird sein Job unter zwei Kollegen aufgeteilt. Nach genau 28 Dienstjahren habe Bauer seinen Beitrag geleistet und will keine 60-Stunden-Wochen mehr durchstehen. Die Zeit zwischen den Jahren hat der studierte Betriebstechnologe zum Aufräumen genutzt. „Ich will meinen Schreibtisch und meine Papierstapel ordentlich an meine Nachfolger übergeben“, so Bauer.

Während seines Arbeitslebens hat der Dampflok-Enthusiast die eine oder andere Eisenbahnveranstaltung besucht. Jetzt, wo er Zeit habe, werde wohl noch die eine oder andere hinzukommen. „Es gibt so viele Veranstaltungen in Deutschland“, sagt Bauer.

Was bedeuten eigentlich die Zahlen 99 7241-5 oder 99 5901 auf den Lokomotiven? Die 99 ist die Baureihennummer und steht für eine Schmalspur-Dampflok. Die anschließende Nummerierung lässt Rückschlüsse auf die Bauart zu. Die 99 7241-5 (Foto) ist beispielsweise eine Neubau-Dampflok, die in den 1950er Jahren in Potsdam-Babelsberg gebaut wurde, wobei die -5 eine Prüfziffer ist. Hinter der 99 5901 verbirgt sich eine Gelenklokomotive der französischen Bauart Mallet. Sie wurde von 1897 bis 1918 hergestellt.

Bauer könne jeder dieser Nummern die dazugehörige Dampflok zuordnen, wird über ihn kolportiert. Eine Fähigkeit, die Kollegen und Vereinsmitglieder der Interessengemeinschaft Harzer Schmalspurbahn en an ihm schätzen und der er seinen Spitznamen „Mister Brockenbahn“ verdankt.

Doch seine Berufung wird ihn auch im Ruhestand nicht loslassen. „Es geht auf der Schmalspur weiter“, kündigt der Magdeburger an. In Archiven wolle er nach Baurecht-Papieren aus den Anfängen der Brockenbahn im 19. Jahrhundert suchen. Seine Ergebnisse wolle er in einem Buch veröffentlichen.

„Ab 2020 tue ich nur noch, wozu ich Lust habe“, kündigt Bauer an. Außerdem stehen ein paar Reisen an – zur Darjeeling-Bahn in Indien und einer Strecke in Eritrea in Ostafrika etwa. Eine Reise nach Wales und eine in die Schweiz sind auch geplant. Selbstverständlich ist auch dort eine Fahrt mit der jeweiligen Schmalspurbahn vorgesehen. Die Welsh Highland Railway ist eine Schmalspurbahn mit einer Spurweite von exakt 597 Millimetern. Sie ist im walisischen County Gwynedd in Großbritannien unterwegs. Zum Vergleich: Die Harzer Schmalspurbahnen haben eine Spurweite von 1000 Millimetern.

Nur um 6 Uhr aufstehen will Bauer dann nicht mehr jeden Tag: „Zumindest werde ich es versuchen.“